Dissonance

Marmor, Stein und Eisen

Zum Aida-Spektakel in Basel

Roman Brotbeck

 

Nach der Traviata in Zürich und der Bohème in Bern hat das Schweizer Fernsehen am 1. Oktober 2010 in Basel die Aida aus dem Theater geholt und auf Schauplätzen im öffentlichen Raum aufgeführt. Die Oper der  Edelprostituierten Traviata wurde im Hauptbahnhof Zürich coram publico gegeben, jene der mittellosen Bohemiens im Gäbelbach-Quartier am Stadtrand von Bern, und jene der Sklavin Aida sehr passend im Luxushotel Les Trois Rois in Basel. So hatte jede Stadt ein bisschen von dem, worauf sie im Stillen stolz ist: Zürich das Verkehrszentrum, Bern das Marginale und Basel den Daig.  Von Produktion zu Produktion wurde das Publikum vor Ort zugunsten schöner Fernsehbilder zunehmend zurückgedrängt: In Zürich konnten wirklich alle zuschauen. In Bern pflegte man eine gewisse Diskretion, weil man in private Wohnungen nicht einfach so reintrampt. In Basel fand die Aufführung im 5-Stern-Hotel statt – ohne Publikum, denn in dieses Hotel kommt auch im normalen Leben nur rein, wer viel bezahlen kann.

 

Aber in Basel hat man sich an solche Verhältnisse offenbar schon so gewöhnt, dass jene Tausende, die in frühherbstlicher Kälte draussen standen, und das waren alle ausgenommen die Handvoll geladener VIPs, sogar noch Beifall spendeten, obwohl von der Handlung nur voyeuristisch Begabte durch Fenster, Vestibüle und Vorhöfe des Hotels etwas erahnen konnten. Ein bündigeres Konzept, um vorzuführen, dass Oper nichts mit dem normalen Volk zu tun hat und eine mondäne Kunst für die oberen Preisklassen unserer Gesellschaft ist, kann man schwerlich erfinden! Die Regie des Abends, für die der Basler Intendant Georges Delnon persönlich die Verantwortung übernahm, hat diesen Umstand beissend kommentiert: Während des wohl schon von Verdi als leeres Machtgehabe komponierten Triumphmarsches liess er die VIPs auf der Hotelterrasse mit Champagnergläsern anstossen und gesellte sich selbst unter die Prominenten – wirklich eine einmalig böse und für alle sofort erkennbare Gesellschaftskritik!

 

Die Handlung mit ihrem ethnischen Konflikt zwischen Äthiopiern und Ägyptern hätte in diesem Konzept von «Reality Opera» zwar besser ins Kleinbasler Vielvölkergemisch, und die Ränkespiele der Mächtigen in die Chefetagen von Novartis und Roche gepasst, aber man wollte den Rhein als Hauptdekor. Verdis Aida ist ja auch zur Eröffnung des Suezkanals aufgeführt worden. Das stimmt zwar nicht, denn bei der Eröffnung des Kanals 1869 wurde Rigoletto gespielt, und die Aida wurde erst zwei Jahre später zur Eröffnung des neuen Kairoer Opernhauses uraufgeführt. Doch das sind nur Mäkeleien, denn am Wichtigsten bleibt doch, dass Suezkanal und Rhein wirklich quasi nebeneinander liegen. Basel Tourismus kann sich die Finger schlecken, denn die Stadt wurde von ihrer besten Seite gezeigt: Sogar Sklavinnen verfügen hier über Wohnlagen mit freiem Blick auf den Rhein! Solch pittoreske Bilder bekamen Zürich und Bern nicht in die Kameras, und dann erst noch mit Feuerwerk auf der Johanniterbrücke, um den für ein solches Spektakel viel zu leisen Schluss von Verdi doch noch zu richtigem Kitsch aufzumöbeln.

 

Vorbildlich war beim Basler Aida-Spektakel am Rheinü brigens die Off-Szene eingebunden, konnte man sich doch in der Pause im Restaurant Lällekönig aufwärmen. Man gab dort das Oktoberfest am Rhein und schenkte viel bayrisches Bier aus. Dazu lieferte der bayrische DJ eine solch konzise Zusammenfassung der Oper wie sie die fehlenden Untertitel im Fernsehen auch nicht besser hätten liefern können: «Marmor, Stein und Eisen bricht, aber unsere Liebe nicht. Alles, alles geht vorbei, doch wir sind uns treu»!

 

 

Dieser Artikel erschien in DISSONANCE 112, Dezember 2010, S. 77.

by moxi