Dissonance

Repliken auf Thomas Meyers Artikel «Ist die freie Improvisation am Ende?» (dissonance 111)

 

 

 

 

 

 

Lucas Niggli: Die freie Improvisation lebt mehr denn je!

Lieber Thomas,

 

es ist ein Vergnügen in der erfrischten dissonance die Schwerpunktartikel zur Freien Improvisation zu lesen. So auch Deinen Versuch die Improvisationsszene der Schweiz etwas polemisch in den Sarg zu verfrachten. Du bittest um Widerspruch. Bitte!

 

Leider bin ich mehr als irritiert ab dem Inhalt Deines doch etwas nostalgisch-motivierten Abgesangs auf die Freie Improvisation, dem, wie Du Dich selbst verdächtigst, tatsächlich ein mittelalterlicher Mief anhaftet. Fast alle Beispiele, die Du nennst, alle Musiker, die Du aufzählst, alle Ereignisse, die Du erwähnst sind entweder aus Deiner Generation oder haben zwischen 1990 und 2000 stattgefunden. Am meisten aber irritiert mich, dass Dir – als von mir sehr gern gelesener Musikkenner und -schreiber – der «Anfängerfehler» unterläuft: Du willst die Freie Improvisation als einen musikalischen Stil hören, was sie doch überhaupt nicht ist. Wie wir an einer der erwähnten und leider nicht mehr stattfindenden Tagungen in Luzern ausführlich diskutiert haben, ist sie in erster Linie eine musikalische, oder besser: künstlerische Haltung!

 

Was wir Improvisatoren, die, wie es Jacques Demierre sehr treffend ausdrückt, die volle Verantwortung für die Musik übernehmen wollen, wirklich nicht brauchen, was aber zynischerweise in Deinem Text als Dogma daherkommt, ist dieses Verlangen nach einer reinen , «undogmatischen» Musizierweise. Da muss ich mich als Interpret von Komponisten aller stilistischer Herkunft – hier darf ich wohl das Wort Stil brauchen – und als «freier» Improvisator auf möglichst allen Bühnen der Welt doch vehement gegen diese Einengung wehren. Wir wollen nicht soweit kommen, dass wir uns von Dogmen der Freien Improvisation, wie Du Sie herbeianalysierst, befreien müssen, wie es vielleicht die Free Jazzer Ende der sechziger Jahre tun mussten.

 

Du schreibst von: «Anklänge vermeiden», «Die Herausforderung fremdes Material ins eigene Musizieren zu integrieren» – und fragst: «Ist die freie Improvisation nur noch ein Ausdrucksmittel unter anderen?» Das Zitat aus einem Gespräch mit Christoph Baumann zur «Befreiung der Ideologie der Freien Improvisation» nimmt doch diese meine Replik bereits vorweg und hätte Dir Antithese genug sein sollen.

 

Irgendwie hast Du nicht mitgekriegt, dass dank einiger in Deinem Artikel erwähnten Protagonisten und Vorkämpfer dieser Musizierhaltung (darunter für mich wichtige Lehrer)  ein Selbstverständnis an zahlreiche in der Schweiz lebende Musiker der jüngeren Generation – egal ob mit akademischem Hintergrund und/oder mit Rock, Jazz oder Noise sozialisiert – weitergegeben wurde? Ich zähle mich als Kind des «anything-goes» klar dazu, bin in vielen Ohren ein «Hansdampf-in-allen-Stil-Gassen», will aber immer die Verantwortung übernehmen und mich frei in der Musikwelt bewegen, egal ob notiert, konzipiert, improvisiert, rezykliert oder welche Arbeitsweisen auch immer verlangt werden – und darin widerspiegelt sich eine Lust, und mittlerweile wohl auch eine Fähigkeit vieler jüngerer Musiker, die Du allesamt nicht erwähnst oder einfach nicht kennst: eine Lust, die Improvisation als verantwortungsvolle Künstler zu leben; ein Haltung eben. Oder wie es Olaf Rupp (ein Gitarrist aus Berlin) formuliert: «Wir ‹Unverwurzelte› sehen das nicht als Genre-Problem, sondern als Chance zur musikalischen Freiheit.»

 

Um eine Antwort auf Deine Frage zu erhalten, ob die Freie Musik heute nicht gleich klingt wie vor zwanzig Jahren, hättest du vielleicht anstelle des Konzerts der hochgeschätzten Kollegen der «Gründergeneration» an ein Konzert von Twopool (Jonas Tauber, bass; Christian Wolfarth, percussion; Andrea Oswald, alto saxophone; Andreas Tschopp, trombone) oder von Mersault & Nate Wooley (Tomas Korber, electronics, guitar; Christian Weber, bass; Christian Wolfarth, percussion) gehen sollen – um nur zwei Konzerte des aktuellen Oktober-Programms der WIM Zürich zu erwähnen. Oder ein Konzert am Echtzeitmusik-Festival in Berlin. Oder eines der zahlreichen  Konzerte der improvisierenden Musiker um Cor Fuhler und Anne La Berge in Amsterdam. Diese Liste könnte ich ausführlich weiterführen, auch als klare Antwort auf Deine Frage: «Ist die freie Improvisation am Ende?»

 

Kommen wir zum Thema der «Nichtvermittelbarkeit» freier Improvisation – ein möglicher Widerspruch zu ihrer Installation als Pflichtfach an den Musikhochschulen? Es ist doch wunderbar, dass alle Musikstudierende in Ihrer Ausbildung zu welchem Spezialistentum auch immer das Fach «Improvisation» belegen müssen. Als frischgebackener Dozent an der ZHdK wage ich noch keinen Ausblick dazu, bin aber dank zwanzig Jahren Bühnenerfahrung (bitte, inklusive intensiver Backstage-Post-Konzert-Reflexion!) guter Dinge, da einiges auslösen zu können. Auf dass sich die Frage der Unvermittelbarkeit durch gelebte Praxis relativiere. Die Freie Improvisation kann man, wie einige Dinge im Leben, nur durchs Tun lernen. Das Experiment, der Versuch lebt.

 

Erinnerst Du Dich, wie Du mich vor zwanzig Jahren in Boswil interviewt hast? Leider hatten wir kaum die Gelegenheit unsere Positionen gegenseitig ajour zu halten. Holen wir  dies jetzt doch nach, aber bitte verschon mich mit der Totengräberstimmung oder mit dem «die Revolution hat stattgefunden». Da und dort riecht sie sicher streng, die Freie Improvisation, um sinngemäss Frank Zappa zu zitieren. Und diese Musikform kann und will nicht immer gelingen, dieses Risiko wollen wir ja gerade eingehen! Diese «Revolution» findet doch tagtäglich im Kleinen statt, im Kampf gegen die Routine. Und ich wage zu behaupten, dass es nicht so eine verrückte Revolution war, wie Du vermutest, diese Etablierung der Freien Improvisation. Ist sie doch seit eh und je das Lebenselixier aller einigermassen kreativ wirkenden Musiker, ob Komponisten, Interpreten, Dirigenten, Lehrer oder verantwortungsvolle Improvisatoren. Nur hat sie in den letzten zwanzig Jahren glücklicherweise massiv an Status, Selbstverständnis und Differenzierung gewonnen. Da brauchen wir sie nicht – ihrer Unübersichtlichkeit wegen – wieder tot zu schreiben.

 

Mit hochachtunsgvollem Gruss

Dein Lucas Niggli
(Hangzhou, 22. September 2010)

 

 

Gaudenz Badrutt

Den Inhalt des Artikels finde ich äusserst problematisch.
Drei Punkte möchte ich hiermit bemerken (es würde noch Weiteres zu bemerken geben...)

  • Meiner Meinung nach wird der Begriff Freie Improvisation zu eng betrachtet - Freie Improvisation hat sich nicht nur vom Free Jazz entfernt etc., sondern das Verständnis für den Begriff hat sich verändert, da sich die Freie Improvisation auch in den letzten Jahren und der Gegenwart weiterentwickelt und bewegt; die Spielhaltung hat sich geändert, formale und klangliche Ansprüche haben sich geändert, …
  • Meiner Meinung nach hat dies auch mit Folgendem zu tun: Im Artikel geht ein grosser Teil der Szene vergessen! Es geht nicht, die Entwicklung der improvisierten elektronischen und elektoakustischen Musik der letzten Jahre und der Gegenwart auszublenden. Ich denke, dort ist ein radikaler Weg u.a. weitergegangen und wurde im Laufe der Zeit auf die akustischen Instrumente 'zurückgeworfen', sodass auch die freie Improvisation mit akustischen (und elektronischen) Instrumenten andere Spielhaltungen etc. gefunden hat (bzw. am finden ist).
  • Warum wird die jüngere (und aktive) Szene der freien Improvisation' nicht wahrgenommen? Zitat: «Ist eine jüngere Generation nachgerückt, die eine ähnliche Spielhaltung mit neuen Möglichkeiten verbindet? Darüber wäre nachzudenken.» Darüber wäre nicht nachzudenken, sondern es ginge darum, diese wahrzunehmen. Vorausgesetzt man beachtet die Veränderung des Bergiffverständnisses von Freier Improvisation. Dies hat selbstverständlich auch damit zu tun, dass wir uns in einer Nische bewegen bzw. in eine Nische bewegt werden. Das Interesse der Bevölkerung wäre eigentlich vorhanden (man beachte z.B. Konzerte in Kunstmuseen, wo ein durchaus anderes (und interessiertes!) Publikum vorzufinden ist als an einem «normalen» Konzert), aber schwierig zu erreichen. Abgesehen davon passiert oft gerade in Nischen Wichtiges.

Fazit des Artikels, für mich persönlich betrachtet: Laut diesem Artikel existiere ich als improvisierender Musiker eigentlich gar nicht.

 

Das Thema ist sehr komplex - ich kann deshalb schriftlich lediglich zu wenigen Punkten etwas bemerken.

 

Gaudenz Badrutt
www.shizophonic.ch

 

 

Jonas Kocher

Cher Thomas,

 

Chaque lecture de ton article 'ist die freie improvisation am ende?' me reste de plus en plus en travers de la gorge.

 

Je ne comprend pas comment l'on peut écrire un article pareil en 2010. À la rigueur au milieu des années 1990, il aurait été plus ou moins en phase avec son époque. Cela fait un moment que les idées de 1968 ont disparues de la vie des gens ou se sont transformées, donc c'est logique que la musique improvisée issue de cette époque fasse aussi partie de l'histoire! La pratique de la musique improvisée actuelle est par contre complètement en phase avec son époque et constitue une alternative essentielle et vitale à des modes de vie et de consommation distordus, tels que nous les vivons chaque jour. Cette pratique questionne des modes de fonctionnement sociaux et de consommation, comme aucune autre pratique musicale ne le fait et ne peut le faire! D'un point de vue esthétique, elle a été fortement influencée par l'avènement de l'électronique, cela non seulement dans le matériau utilisé mais aussi dans les formes, les timbres et les temporalités et reste un vaste champs d'expérimentations sonores, bien plus riche et aventureux que la majorité des musiques écrites.

 

Tu as beau dire que le titre provocateur n'est pas de toi, bon. Mais tu mentionne le présent d'une pratique dans le sous-titre (le sous-titre est-il aussi de quelqu'un d'autre?)
Or, tu fais la négation de toute une génération de musiciens actifs et établis présentement en Suisse-alémanique comme en Suisse-romande, cela bien plus que pendant les années 1990.
Des musiciens engagés et conscients du rôle de leur musique dans la société et de ce qu'elle représente en tant que recherche sonore et artistique.

 

Pourquoi cette négation de tout un nombre de musiciens?
Par provocation? Triste et déplacé.
Par méconnaissance? Triste et inquiétant.

 

Je dois te dire que l'on se sent complètement mis de côté, insignifiants, inexistants.

 

À part toi, presque personne n'écrit sur la musique improvisée en Suisse, j'attendais autre chose de ta part, un intérêt réel pour le travail de ces musiciennes et musiciens, une envie de découvrir la richesse de toutes ces pratiques plus vivantes que jamais!
Ton article m'apparaît comme dangereux car il a déjà servi de référence et pourrait fausser encore bien des avis et des décisions politiques et culturelles. La musique improvisée étant tellement mal connue et mésestimée, c'est d'autant plus facile de s'en décharger en prenant appuis sur ton article.

 

Les musiciens ne vont pas venir vers toi pour parler de leur travail, c'est à toi de sonder la scène, de sentir et découvrir ce qu'il s'y passe. Je ne suis pas journaliste mais il me semble que c'est là la moindre des choses à faire quand on veut couvrir un sujet et que de plus, l'on sait que l'on est pratiquement le seul à le faire dans ce pays!

 

Quant au manque de volonté des musiciens d'analyser et de théoriser leurs pratiques, cela est faux. Il existe en Europe des revues, des livres ainsi que des musicologues et journalistes compétents qui écrivent sur ces musiques. Il est vrai qu'en Suisse, il n'y a pratiquement rien de semblable. Mais il suffit juste de regarder un peu plus loin que nos frontières pour s'apercevoir que les musiciens parlent et écrivent sur leurs pratiques et que d' autres formes plus appropriées que la musicologie et l'analyse classique sont employées pour rendre compte de cette musique.

 

La musique improvisée suisse ne se limite pas seulement à KARL ein KARL (dont je respecte beaucoup le travail, par ailleurs) et au WIM Zürich. Ton article ne rend pas compte de la réalité, de plus il l'ignore et ne la mentionne même pas!

Cela est grave, Thomas.

 

J'ai toujours été a ta disposition pour éclairer ta lanterne, Jacques Demierre t'as également orienté vers un certain nombre de musiciens de la jeune génération. Tu avais toutes les cartes en mains, or tu n'as pas bougé. Qu'est-ce que cela signifie? Au lieu d'un article qui se veut provocateur (je préfère croire à cela qu'à de l'ignorance), tu aurais pu te faire la voix d'une génération active et engagée, autant en Suisse qu'à l'étranger. Ta provocation ne fait que desservir les intérêts d'un nombre conséquent de musiciens et pas seulement ceux de la jeune génération.

 

Cordiales salutations,
Jonas Kocher

 

 

Gabor Kantor

Lieber Herr Meyer!

 

Ich bin gesamtschweizerisch gesehen nur eine kleine Nummer, betreibe einen CD-Laden in Luzern, und organisiere seit bald 6 Jahren monatlich ein Konzert, Hauptgewicht Improvisierte Musik. Keiner der von Ihnen erwähnten Namen hat hier gespielt, denn sie gehören, wie Sie am Anfang Ihres Artikels erwähnen, zur bereits gestandenen Garde, also zu den Pionieren. Es sind die Jüngeren, die bei mir auftreten, die die Idee Improvisation auf alle möglichen Arten weiterziehen. Und es gibt sie durchaus auch im Bereich der Stimme, mit oder ohne Wörter (z.B. Isa Wiss oder Andreas Scherrer).

 

Die Liste aller improvisierenden, jungen schweizer MusikerInnen wäre unendlich. Es scheint mir verwegen, nach dem Wert von etwas zu fragen, wo die Jungen längst weiter gegangen sind und immer von Neuem improvisierende Musik-Sprachen erfinden. Alles Andere, Vorherige war wichtig, zum Glück hat es das alles gegeben, aber zuzuhören, mit wie viel Freude der Nachwuchs musiziert, ist jetzt viel wichtiger.

 

Die Zukunft der improvisierten Musik hat erst begonnen, man muss die Ohren dafür offen halten, und in die unzähligen, schweizweit existierenden, kleinen, nichtkommerziellen Lokale gehen.

 

Mit den besten Grüssen,

Gabor Kantor

MUSIK-FORUM Luzern

 

 

Christian Kobi

Wenn ich mich umsehe, beobachte ich eine lebendige junge UND alte Szene. Dies in Form von Organisationen (Assocation Rue du Nord Lausanne, Mullbau Luzern, Tybolin Biel, etc.) oder Festivals (EAR WE ARE Biel, Cave12 Genf, zoom in Bern, etc.). Es gibt sie, diese frei improvisierte Musik in der Schweiz, die sich weiter entwickelt. Ja, es wird gejammt, es wird aber auch reflektiert, über Gespieltes gesprochen, um ständig im Fluss zu bleiben – um Qualität zu erzielen. Konkret ist es angewandte Forschung am Instrument/der Stimme. Für diese Entwicklung ist das mit Einbeziehen von anderen Kunstformen (Tanz, Film u.s.w.) nicht zwingend, oft wird diese Vernetzung von Interdisziplinarität zu einem Versteckspiel. Hier teile ich auch die Aussage von Alfred Zimmerlin (Interview in der dissonance 111) nicht.

 

Improvisiert wurde immer. Die frei improvisierte Musik ist in ständiger Bewegung. Sie war noch nie so reich an neuen Tendenzen, ohne sich an Moden und Trends zu orientieren. Lebendig ist sie, selbst organisierend und dies ohne Zwänge oder von sozialen Hintergründen abhängig. Gut, dass sie nicht einzuordnen ist. Desswegen ist für mich die freie Improvisation kein Stil, für mich ist sie eine Lebenshaltung, die weiter treibt.

 

Christian Kobi, Bern

 

 

Daniel Studer

Lieber Thomas,

 

Totgesagte leben länger…

 

Freie Improvisation zu fassen scheint mir überaus schwer, jeder improvisierende Musiker hat seine eigenen Vorstellungen, was bereichert und zu einer Vielfalt führt. Auch aus diesem Grund dürfte es schwierig sein, dass die Freie Improvisation aussterben wird. Neue Ideen und Bedürfnisse an die Musik fliessen immer ein und dies wird weiterhin so sein und somit auch diese Art von Musik am Leben erhalten.

 

Wir müssen aber zwischen Stil und Ausdrucksform unterscheiden. Ein Beispiel: Der Free Jazz der 60er Jahre wurde von den Musizierenden selbst überholt, aber die Freie Improvisation als Ausdrucksmittel existiert weiter und wird noch lange neue Stile entwickeln. Stile, Stilrichtungen sind zeitliche Erscheinungen, sie sterben aus. Wer sich an einem Stil festklammert wird dessen «Aussterben» (vielleicht) bedauern und wird den Anschluss und den Zugang zu neuen Formen nicht finden.

 

Dein Artikel spricht sehr viele Themen an. Vieles habe ich mit grossem Stirnrunzeln gelesen, oft mit Unbehagen über die Ungenauigkeiten und Unkenntnisse. Ich möchte aber nur an einem Ort nachhaken, der mir besonders am Herzen liegt, und von dem viele Probleme der Freien Improvisation ausgehen:

«…die gesellschaftliche Relevanz (der freien Improvisation) scheint doch verloren zu sein.…»

Da kommt natürlich die Frage: was heisst gesellschaftlich relevant? Auf jeden Fall kann ich nur konstatieren, dass die Bedeutung der Freien Improvisation in der Gesellschaft (noch) nie von grosser Bedeutung war. Die ImprovisatorInnen, die nun teilweise im Pensionsalter sind, haben diesbezüglich zwar sehr gute Vorarbeit geleistet (SUISA, Konzertreihen, Etablierung von öffentlichen Geldern, Schulen etc.), aber von gesellschaftlicher Relevanz kann mit Sicherheit nicht gesprochen werden. Da gibt es noch viel zu tun. Hier nur einige Beispiele:

 

Öffentliche Gelder
Die Freie Improvisation ist eine Ausdrucksform, in der kompositorische und interpretatorische Aspekte im gleichen Moment zusammenfallen, eine «Kollektivkomposition» ohne Vorgaben. Dass dies mit Arbeit, Proben etc. verbunden ist, scheinen viele Geldgeber nicht zu verstehen. Finanzielle Unterstützung für die kompositorische und/oder interpretatorische Arbeit gibt es nur selten. Weiter werden fast unüberwindbare Hürden geschaffen, gefordert werden z.B. 5 bis 7 Auftritte in kurzen Zeitabständen und in verschiedenen Sprachregion und/oder im Ausland. Zusätzlich kommt hinzu, dass unsere Konzertorte «zu geringe Resonanz» haben und aus diesem Grund aus dem Raster fallen. Diese Form der (nicht) Unterstützung verhindert vertiefte und kontinuierliche Zusammenarbeiten. Was sich natürlich auch im Produkt niederschlagen kann.

 

Veranstalter
Wie viele Veranstalter lassen sich auf die Freie Improvisation ein? Es ist immer noch eine verschwindend kleine Zahl. Diese Musik ist nicht mehrheitsfähig, ähnlich wie gewisse Bereiche in der zeitgenössischen komponierten Musik (die zum Glück eine etwas «grössere», aber leider immer noch viel zu kleine gesellschaftliche Relevanz hat), und bedarf deshalb besonderer Aufmerksamkeit und Vorsicht.

 

Schulen
In den letzten Jahren wurde die Improvisation in den Hochschulen eingeführt (Bologna Reform). Improvisation ist ein sehr weites Gebiet, das ganzheitlich vermittelt werden sollte, also auch unter Miteinbezug der Freien Improvisation. Dies wurde zum Teil so umgesetzt, was ich als Erfolg betrachte. Trotzdem sehe ich noch viele Dozierende und Schulleiter, die von der Improvisation wenig oder keine Ahnung haben und sie deshalb im Unterricht nicht berücksichtigen, ja sogar als rotes Tuch betrachten.

 

Ich denke, dass gerade die gesellschaftliche Irrelevanz der Freien Improvisation zu vielen Missverständnissen, Vorurteilen und Unkenntnissen führt. Gesellschaftliche Relevanz kann nur durch ein breit abgestütztes Netz entstehen. Die Freie Improvisation (wie die Improvisation im allgemeinen) ist davon noch weit entfernt. Das macht die Arbeit schwierig und darum müsste genauer und vorsichtiger hingeschaut werden.

 

Dein Artikel ist diesbezüglich nicht klärend, sondern schürt geradezu die Verwirrung.

 

Die Freie Improvisation wie die Improvisation wird wohl kaum aussterben, dafür ist sie zu lebendig. Mit verstärkter Hilfe von öffentlichen wie privaten Institutionen, Schulen, Medien etc. könnte sie aber aufblühen. Übrigens soll die Improvisation ja laut der «Kulturbotschaft» des Bundes (im Rahmen des neuen Kulturförderungsgesetztes) gefördert werden. Welche Form der Improvisation werden wir ja sehen.

 

Wenn sich jedoch Kulturbeobachter, Kritiker, Institutionen von der zeitgemässen Kunst abwenden und dafür kein Verständnis zeigen, werden sie als erste Gefahr laufen auszusterben. Dies wäre eine verheerende Entwicklung. Italien lässt grüssen.

 

Herzlich
Daniel

www.danielstuder.ch

 

 

Pierre Thoma

Cher Thomas Meyer.

 

La lecture de votre article Ist die freie Improvisation am Ende? m'inspire quelques inquiétudes.

 

Vous postulez que l'improvisation libre a fait son temps, affirmant ainsi implicitement que toute forme d'expression doit trouver sa fin à un moment donné. Le danger d'un postulat, lorsqu'il est insuffisamment étayé, est qu'on y risque le dogmatisme, comme celui d'affirmer que l'improvisation libre, puisqu'on la pratique depuis quelques décennies, est arrivée à son Endpunkt. Ne pourrait-on imaginer que par son essence-même, cette musique-là est loin d'avoir épuisé son histoire?

 

Vous citez en impulsion de votre article deux personnalités dont je connais bien l'intelligence musicale, Alfred Zimmerlin et Jacques Demierre. Je n'ai pas assisté à ce concert, mais fonder un article sur cette expérience, en y ajoutant des exemples comme celui de l'évolution du travail de Irène Schweizer, me paraît bien léger. Rien de ce que j'ai pu entendre ces dernières années, entre autres par les deux musiciens pré-cités, ne me permet d'imaginer que nous sommes parvenus à la fin de l'improvisation libre.

 

Vous abordez la problématique du discours théorique sur l'improvisation. Comment intégrer le discours musical de l'improvisation libre à celui de la musique codifiée que nous avons appris au conservatoire? Vous le savez, chaque domaine possède son appareil conceptuel, et vouloir à tout prix intégrer l'un dans l'autre, c'est nier ce qui justement a fait l'histoire  de l'improvisation libre. Il a fallu l'intelligence d'un Michel Thévoz pour intégrer le discours de l'art brut dans celui de l'art tout court (étant bien entendu que la démarche de ces artistes-là ne se compare pas ainsi à celle des musiciens en question).

 

A propos langage, au-delà de la question de ce qu'est l'improvisation, qu'est-ce que l'improvisation libre? Poser plus fondamentalement cette question aurait pu permettre d'asseoir votre article sur une base plus solide.

 

Avec mes meilleurs messages
pierre thoma

 

 

Paed Conca

Lieber Thomas

 

Meine und auch die jüngere Generation ist bei dir offensichtlich nicht vorhanden. Die frei improvisierenden MusikerInnen in der Schweiz bestehen etwa aus sieben Menschen. Darunter mein lieber Freund und in vielen Formationen der letzten Jahre Mitmusiker Hans Koch. Wenn du dir nur schon die Mühe gemacht hättest, zu schauen mit wem der so in den letzten Jahren regelmässig aufgetreten ist, wärst du neben meinem Namen auch auf eine ganze Menge MusikerInnen gestossen, bei denen es sich ganz sicher lohnt, genauer hin zuhören. Und Hans ist nur ein Beispiel. Daneben stört mich in deinem Artikel die Reduktion auf die Schweiz. Musik lebt für mich gerade auch vom Austausch. Um Grenzen schere ich mich im realen wie im philosophischen Sinne einen Dreck. Das gilt natürlich auch für steife Regeln in der Musik. Du bleibst mir mit der ganzen Abhandlung viel zu theoretisch und steif. Musik lebt gerade davon, immer alles musikalische auch im Moment der Interpretation in Frage zu stellen. Das ist, wenn schon, musikalische Freiheit und nicht das Festlegen von Regeln, was frei und nicht frei sein soll. Ich unterstelle dir, dass du deine Neugierde verloren hast und nur schaust, was die «Alten» machen.

 

Seit Jahren bin ich international tätig und ich erachte das als sehr wichtig! Ich spiele auch in der Schweiz und ich spiele auch in der WIM. Des weiteren ist die WIM nicht allein die freie Szene oder? Und wie kommst du um Himmels willen darauf, dass sich gerade diese Musik etabliert hat? Weil es irgendwie manchmal möglich ist, etwas Geld dafür heraus zu pressen? Neben der WIM und ein paar Festivals findet alles im Untergrund statt. Schau dich doch einmal um!

 

Beste Grüsse
Paed Conca

 

 

Jacques Demierre

Cet article de Thomas Meyer est dangereux. Sous le prétexte de la provocation, il apporte sa contribution au mouvement de restauration d'une culture Mainstream que l'on peut observer dans toute l'Europe et dont l'ambition est finalement d'offrir des objets culturels facilement consommables et formatés pour le marché et pour les institutions.

 

L'intention provocative d'un tel article aurait pu être intéressante dans un autre contexte politico-culturel, les musiciens improvisateurs n'ayant pas davantage tendance que leurs collègues non-improvisateurs à remettre en question leurs pratiques musicales. Mais dans le contexte actuel, ce texte pose le problème de la séparation entre le pouvoir culturel et la presse.

 

Thomas Meyer est à la fois journaliste écrivant dans Dissonance (revue éditée par l'Association suisse des musiciens et la Conférence des hautes écoles de musique suisses) sur la mort de la musique improvisée en tant qu'expression musicale autonome, et, simultanément, il est membre du Conseil de Fondation de Pro Helvetia, qui évalue, puis, selon les cas, accepte ou refuse les requêtes soumises, entre autres, par des musiciens pratiquant la musique improvisée. Cette position berlusconienne est inacceptable. Elle est d'autant plus inacceptable que certains responsables de dossiers au sein de la fondation, s'avouant incompétant face à la musique improvisée, se réfère à ce texte pour fonder leurs décisions.

 

Cette collusion entre un organisme culturel et la presse est évidemment au service de l'orientation que prend Pro Helvetia depuis plusieurs années déjà. Nous sommes en train de passer, et le rythme s'accélère, d'une fondation qui devrait être un service public garant de la diversité des expressions artistiques et culturelles, à une entreprise de production vendant des produits label suisse calibrés, et qui met de plus en plus l'accent soit sur des projets intégrant des musiques folkloriques suisses, accompagnant ainsi le réflexe de repli identitaire qui existe déjà au niveau de la société, soit sur des "events" qui permettent de donner à l'étranger, à travers des productions artistiques facilement consommables, une image policée et politiquement correcte de la Suisse.

 

Le texte de Thomas Meyer rejoint également la position de Pro Helvetia quand il fait la différence entre musique improvisée et improvisation. La première aurait cessé d'exister selon lui, la seconde faisant partie maintenant de l'éducation de base. Malheureusement la méconnaissance est profonde autant chez Pro helvetia que chez Thomas Meyer. La musique improvisée n'est pas un style, encore moins une technique. Elle est précisément non-idiomatique et non-référentielle. Elle se renouvelle à travers chaque musicien, à travers la singularité de chaque individu. La musique improvisée de l'ensemble anglais AMM dans les années 60 n'a rien à voir avec par exemple The Art of Memory de John Zorn/Fred Frith des années 90, ou encore avec les improvisations du trompettiste Peter Evans, More is More, parues en 2006 (pour prendre à dessein des exemples non-suisses). La musique improvisée meurt à chaque concert, à chaque nouveau concert, elle renaît. Elle est en constant changement, en perpétuelle transformation. Et elle se fait précisément l'écho, à travers chaque musicien, des transformations artistiques, philosophiques et technologiques qui se manifestent au niveau de la société.

 

Mais cette méconnaissance de la réalité de la musique improvisée est aussi preuve d'une incompétence grave. Thomas Meyer est l'un des rares en Suisse à écrire régulièrement sur la musique improvisée, et pourtant, non seulement il dénigre le travail actuel de la génération des plus de cinquante ans dans son texte, mais encore, il passe totalement sous silence l'engagement des générations suivantes qui ont rejoint depuis longtemps ces musiciens "historiques" pour défendre et promouvoir sans distinction d'âge cette pratique improvisée. Unexemple récent: vendredi 17 septembre 2010, le Insub Meta Orchestra réunissait pour un concert plus de 45 musiciens improvisateurs, toutes générations confondues, à l'AMR, Genève. Que faisait Thomas Meyer ce soir-là?

 

Ecrire aussi que l'enseignement actuel de la musique improvisée dans les Hautes écoles suisses a condamné à mort cette pratique relève d'une méconnaissance historique des rapports entre académie et underground. Les écoles de jazz qui sont apparues il y a des dizaines d'années aux USA n'ont par exemple jamais empêché le développement des aspects les plus radicaux de cette forme artistique. Les conservatoires qui enseignent depuis longtemps la musique contemporaine écrite n'ont jamais affecté négativement le renouvellement de la musique contemporaine. Il y a eu coexistence avec ces différentes formes d'art et il y aura coesistence avec la musique improvisée. Cette incompétence journalistique est à mon avis aussi liée au problème de l'incompétence constatée à maintes reprises dans les décisions prises par le Conseil de fondation de Pro Helvetia concernant la musique improvisée: Je pose la question de la rigueur dans l'évaluation des requêtes: que répondre à une responsable de projet qui vous avoue son incompétence face à la musique improvisée mais qui signe néanmoins une lettre refusant une requête avec une argumentation particulièrement faible et très mal étayée? Et qui brandit de plus le texte de Thomas Meyer comme caution intellectuelle?

 

Je pose également la question du fonctionnement administratif de Pro Helvetia face à la musique improvisée et aussi celle de l'évaluation culturelle de cette même musique. Qui avons-nous en face de nous, nous musiciens improvisateurs? J'ai eu l'occasion de rencontrer il y a quelques mois une responsable de la musique improvisée au sein du Conseil de fondation de Pro Helvetia, l'entretien a été révélateur: un tel manque de connaissance concernant la musique improvisée et son histoire, et une telle inculture en matière de musique expérimentale m'ont paru alors et me paraissent toujours inconcevables avec une position de responsable culturel. Thomas Meyer est-il alors instrumentalisé par Pro Helvetia?

 

Les arguments rencontrés dans le texte de Thomas Meyer pour affirmer la mort de la musique improvisée sont en gros les mêmes que ceux avancés par Pro Helvetia dans les cas de refus de requête. Manque d'innovation et caractère non-actuel de la musique en question. Mais que veut dire innovatif pour Pro Helvetia, que veut dire actuel pour Thomas Meyer? Morton Feldmann aurait sûrement vu ses requêtes refusées par manque d'innovation sur le long terme. Une musique qui surfe sur les modes est-elle plus actuelle que celle d'un improvisateur qui creuse une voie singulière?

 

Enfin, je pense qu'il y a un problème à juger une musique par son mode de fabrication. Une musique peut-elle être morte du simple fait qu'elle est improvisée? Certaines formes de musique improvisée sont mortes, bien sûr et heureusement, mais la musique improvisée n'est pas morte en tant que génératrice de musiques inouïes. Les musiciens improvisateurs ont d'ailleurs peut-être eu tort de revendiquer l'improvisation comme caractéristique essentielle de leur pratique, au point que leur musique en porte le nom. L'improvisation n'est pas le contraire de l'écriture, la musique improvisée n'est pas le contraire de la musique écrite. Le temps de la composition peut pour certains musiciens-compositeurs être égal et simultané au temps de la réalisation. Le vieux débat de la E- et U-Musik est-il finalement toujours d'actualité?

 

En guise de conclusion à ma réaction à cet article, je propose à Thomas Meyer et à Pro Helvetia, une rencontre, sous forme d'états généraux de la musique improvisée, où seraient débattues ouvertement les problématiques liées à la musique improvisée en Suisse et à son soutien par les instances culturelles.

 

Jacques Demierre

(25. September 2010)

 

 

Bertrand Denzler

Cher Thomas Meyer,

Si l’on considère la «musique improvisée libre» comme un mouvement artistique, on est en droit de se poser la question de savoir s’il vit encore ou non. Sauf que la tâche n’est pas aisée: quels sont les critères permettant de constater la mort d’un mouvement musical? Il suffit d’essayer avec d’autres musiques pour s’apercevoir que la mission est difficile. Quoi qu’il en soit, les arguments avancés dans cet article ne sont pas recevables, comme le montrent clairement les réactions des musiciens. Non, ce mouvement artistique, s’il existe, n’est pas mort.

 

En soi, le fait d’annoncer à tort la mort d’un mouvement artistique n’est pas grave, même lorsque cette annonce s’appuie sur un diagnostic erroné (le supposé cadavre bouge encore, son cœur bat, il n’est même pas endormi ou dans le coma - mais le médecin l’a examiné de très loin en ne prélevant qu’un tout petit échantillon de son organisme). Le problème, c’est que ce texte est publié, qui plus est dans une revue spécialisée, et qu’il a donc un impact politique. Or, de ce point de vue, il est très néfaste, car il donne aux subventionneurs des arguments (qu’ils attendaient avec impatience?) pour diminuer leur maigre soutien à cette musique.

 

Pour le reste, je trouve que cet article pose - volontairement ou non - quelques questions intéressantes. Que veut dire «libre» dans ce contexte? L’improvisation est-elle un outil, une fin en soi, une manière d’être, une culture ou tout cela à la fois? Quels sont les tabous et les totems de la musique improvisée? Et bien d’autres encore, qui exigeraient des recherches approfondies.

 

Je trouve dommage que vous n’ayez pas profité de cet article pour poser des questions de fond et que vous vous soyez contenté de nous faire part de la mort de votre intérêt pour une musique que vous avez manifestement appréciée par le passé, donnant à ceux qui veulent lui couper les vivres des arguments pour l’enterrer définitivement - même si ce n’était pas le but du jeu.

 

Bertrand Denzler

bdenzler.free.fr

 

 

Christoph Gallio

Kunst ist Leben und Leben ist Kunst. Freie Improvisation ist Leben und umgekehrt. Ich glaube (nicht im dogmatischen Sinne) an die Frei Improvisierte Musik, welche keine Stilrichtung, sondern eine Haltung ist. Sie erneuert sich von Aussen und in sich selbst immer wieder von Neuem, lässt sich nicht zügeln, kontrollieren, beherrschen, und ist immer im Fluss. Frei Improvisiete Musik ist Prozess, und erlaubt dem musizierenden und teilnehmenden Menschen die Freiheit (inklusive Scheitern) zu leben/erleben, welche jedem Menschen dieses Planeten zusteht, aber nicht gewährt wird. Frei Improvisierte Musik ist Forschung.

 

Herzlichst
Christoph

www.soziale-musik.ch

 

 

Tomas Korber

Lieber Thomas,

Mit Befremden habe ich Deinen Text zum Tod der freien Improvisation zur Kenntnis genommen. Ich möchte ganz unsystematisch – als Denkanstoss so zu sagen – ein paar problematische Stellen des Artikels näher besprechen:

  • «Kommt hinzu, dass die wichtigsten Figuren 50+, ja teilweise sogar schon im Pensionsalter sind.» –  Bei allem Respekt, aber es scheint mir, als hättest Du das letzte Jahrzehnt, ja sogar einen Grossteil der 90er Jahre, schlicht verschlafen. Die Musiker, die Du im Artikel erwähnst, sind tatsächlich meist über 50. Nur sagt das mehr über dein mangelndes Wissen (oder Interesse) in Bezug auf aktuelle Entwicklungen in der freien Improvisation aus, als über den tatsächlichen Zustand derselben. Für eine Übersicht einiger der jüngeren Figuren, verweise ich auf meinen Text In Echtzeit: Improvisierte elektronische und elektroakustische Musik im soeben erschienenen Buch von Bruno Spörri Musik aus dem Nichts - Die Geschichte der elektroakustischen Musik in der Schweiz. Dieser Text bezieht sich wohlgemerkt nur auf Musiker, die mit elektronischen Mitteln arbeiten.
  • «Ob sich freilich die Improvisatoren im STV vertreten fühlen? Jedenfalls dürfte ihnen in dieser Umgebung oft wohler sein als im Pop-Bereich, in dem sie zuweilen subventionsmässig landen. Das Verständnis ist innerhalb der Neuen Musik grösser.» – Deine Fokussierung auf den Bereich der freien Improvisation, der sich aus der Neuen Musik entwickelt hat oder sich dieser inhaltlich resp. historisch stark verbunden fühlt, dürfte einer der Gründe sein, weshalb Du wichtige neue Entwicklungen übersehen hast. Freie Improvisation in ihrer jetzigen Form zeichnet sich gerade durch die Pluralität der musikalischen Hintergründe ihrer Akteure aus. Was ich damit sagen will: Viele der aktiven Musiker fühlen sich «populären» Musikformen (Rock, Pop, Techno, usw.) genauso verbunden, wie der Neuen Musik.
  • «Bedeutet das nun, dass freie Improvisation nur noch ein Ausdrucksmittel unter anderen ist?» – Ja, und was wenn dem so wäre? Was heisst «nur noch»? Ich selber gehöre zu jenen Musikern, die Improvisation immer schon in erster Linie «bloss» als Arbeitsmethode (äquivalent zu Komposition) verstanden haben, also frei jeglicher Ideologie. Andere Kollegen sehen darin eine grundsätzliche Haltung, wiederum andere sogar eine umfassende Lebensphilosophie. Wichtig scheint mir, dass all diese verschiedenen Einstellungen und Backgrounds nebeneinander Platz haben. Freie Improvisation kann vieles sein, Definitionen scheinen überflüssig, die Grenzen sind sowieso fliessend und in ständiger Bewegung.
  • «Fraglich ist allerdings, ob innerhalb der freien Improvisation nicht der drängende Wunsch nach dem Diskurs fehlt, nach der Formulierung einer Ästhetik, dem Nachdenken – und das ist einer der Gründe, warum selbst in Fachzeitschriften wie der dissonance vergleichsweise selten darüber reflektiert wird.» – Der Wunsch nach dem Diskurs fehlt keineswegs, unter Musikern schon gar nicht, wie mir meine täglichen Erfahrungen zeigen. Jedoch hat sich der Diskurs in der Öffentlichkeit durch die in den letzten zwei Jahrzehnten aufgekommenen Technologien (a.k.a. Internet) eindeutig verschoben. Einige Beispiele von Blogs und Foren in denen rege (für meinen Geschmack manchmal sogar zu rege) diskutiert wird, findet sich z.B. in dieser Linksammlung. Auch in einer Fachzeitschrift wie dissonance würde öfter darüber reflektiert, wenn man denn Autoren beauftragen würde, die etwas über das Thema zu sagen haben.

Zusammenfassend: Die Frage ob man die freie Improvisation für tot erklärt oder sie für eine lebendige Kunstform hält, ist für mich im Wesentlichen ein definitorisches Problem: Wird sie als musikalisches Genre verstanden, ist sie womöglich tatsächlich schon lange tot. In der meiner Meinung nach weitaus relevanteren Auslegung als Spielhaltung oder Arbeitsmethode ist sie dies keineswegs.

 

Freundliche Grüsse,
Tomas Korber

 

 

Hans-Jürg Meier: Eher Fragen als eine Replik

Ich teile das etwas mulmige Gefühl, welches Thomas Meyer eingangs seines dissonance-Artikels Ist die freie Improvisation am Ende? über das Konzert vom 22. Juni 2010 beschreibt. Ein ähnliches Erlebnis machte ich zufälligerweise am selben 22. Juni 2010 in einem «Atelierkonzert» in Basel. Ebenfalls waren hochkarätige Improvisatoren der älteren und jüngeren Generation am Werk (Michel Doneda, Christoph Schiller, Jonas Kocher und Gaudenz Badrutt). Sehr schöne Musik, gut gehört und klar geformt, war zu hören, seltsam überraschungslos indes. Den Eindruck, hier habe sich ein allgemeiner Kanon, wie die Freie Improvisation zu klingen habe, durchgesetzt und werde quasi perfekt ausgeführt, teilte ich überraschenderweise mit einem Gesprächspartner, ebenfalls ein erprobter Improvisator.

 

Wie Thomas Meyer schreibt, ist eine Diskussion und ein Nachdenken über den aktuellen Zustand der freien Improvisation höchst erwünscht. Aus meiner Warte des Komponisten, der seit geraumer Zeit improvisiert, diese Form des Musizierens schätzt und - wie im «Festival für zeitgenössische improvisierte und komponierte Musik» in den Jahren 2000-05 in Basel thematisiert - keinen grundsätzlich qualitativen Unterschied zur komponierten Musik sieht, nehme ich das Phänomen des Stillstandes, der Akademisierung, einer Anpassung an den Mainstream der Musik auch in komponierten Werken wahr. Müsste demnach von einem allgemeineren Phänomen gesprochen werden? Wieviel und wo wird darüber gesprochen oder geschrieben? Ist es eine Art Stilbildung, die man auch als Folge von Vermarktungsstrategien und Förderkriterien bezeichnen könnte? Ist vielleicht die Frage im Titel des Artikels von Meyer falsch gestellt? Oder sind vielleicht die Erwartungen an die sich selbst so bezeichnende «freie» Improvisation so hoch, dass das Phänomen «Endpunkt» dabei umso mehr auffallen mag? Anders gesagt: Lenkt der Begriff «frei» (ebenso wie der Begriff «Avantgarde») heute in eine falsche Richtung?

 

Wie dem auch sei, bedenkenswert ist auf einer ganz anderen Ebene die Reaktion von einflussreichen Förderstellen, die offenbar aufgrund eines einzigen Artikels ihre Unterstützungspolitik überdenken. Denn Thomas Meyer äussert in seinem Artikel eine persönliche Meinung, die er mit vielen Fragezeichen und grosser Skepsis gegenüber sich selbst behutsam zu formulieren versucht. Und: Er fordert gar explizit den Widerspruch ein. Wie anfangs geschildert, teile ich ein gewisses, denkwürdiges Erlebnis mit dem Autor, aber ich finde es unhaltbar, daraus Schlüsse für eine Förderpolitik zu ziehen. So gesehen, ist das Thema schlicht zu kurzsichtig betrachtet, ist zu einseitig an sogenannter Innovation oder zahlenmässig grossem Aufmarsch von Publikum orientiert. Die Szene der freien Improvisation in der Schweiz verdient eine Pflege, vielleicht gerade heute eine intensivere, um den Handlungsspielraum nutzen zu können, frisch und mutig in die Zukunft zu schreiten.

 

Hans-Jürg Meier

 

 

Benoît Moreau

Monsieur Meyer,

Je ne vous connais pas personnellement mais votre article me donne l’impression de lire les lignes d’un musicologue à temps partiel, qui publie des pensées sans fondement ni référence et dont l’avis ne peut être digne d’une personne dont le métier a justement été reconnu par le passé.

 

Votre attaque – que je taxerais de facile, superficielle et qui met surtout en lumière votre ignorance quant au sujet traité – s’adresse à de très nombreux musiciens suisses de plusieurs générations qui n’avaient pas besoin de ça : leur activité débordante malgré le peu de reconnaissance obtenue témoigne de leur engagement de chaque instant, et lire une pareille description de la musique improvisée en Suisse dans une publication officielle fait très mal.

 

Concernant vos multiples considérations sur la mort de cette musique et plus particulièrement sur la fin de son développement musical et sonore, il n’y a pas grand-chose à discuter puisque vous ne semblez simplement pas intéressé à assister aux innombrables concerts organisés ou alors vous n’êtes pas capable d’ouvrir vos oreilles. Votre analyse vous enfonce dans les ornières du conservatisme rétrograde où ce qui a de la valeur appartient nécessairement au passé.

 

Par contre, votre maigre argumentaire selon lequel « la pertinence sociale » de cette musique ne serait plus d’actualité me laisse croire avec horreur que votre ignorance dépasse le domaine musical : si vous décrétez que les raisons sociales qui ont fait vivre cette musique dans les années 70 ont disparues et que, dès lors, cette musique n’a plus de cheval de bataille, vous faîtes non seulement une grave erreur mais vous trahissez également une certaine affinité pour les valeurs libérales et commerciales qui ont plongé la culture dans la situation dramatique qu’elle vit aujourd’hui (la culture est un divertissement, la culture doit être rentable et c’est ce qui détermine sa qualité, etc.). Les revendications artistiques et le contexte social ont évidemment évolué ces dernières décennies et l’engagement que manifestent chaque jour les musiciens pratiquant l’improvisation trouve aujourd’hui une place des plus importantes et des plus louables dans le combat contre la dictature de l’économie libérale dans l’art.

 

Si vous ne comprenez pas que le monde d’aujourd’hui a un besoin historique d’une lutte pour un système social, économique et artistique plus juste et équilibré, et que vous ne percevez pas que la musique improvisée s’est toujours investie dans cette lutte et continue à le faire, vous ne disposez définitivement pas des outils nécessaires à une personne active dans la politique culturelle et ne pouvez assumer votre statut.

 

Vos déclarations sont une menace contre la diversité culturelle étant donné, comme chacun sait, les répercutions qu’elles peuvent engendrer au niveau politique. Vous avez, sur un coup de tête (ou alors, s’il y a eu réflexion, sur une analyse totalement fausse), mis en danger la profession et l’activité artistique de plusieurs milliers de personnes en Suisse.

 

Monsieur Meyer, vous avez certainement l’occasion de revoir votre jugement en considérant cette fois la réalité du monde de la musique improvisée et en vous basant sur les arguments de ces multiples réactions. Vous pouvez encore récupérer par votre bonne foi une erreur qui fera date dans votre carrière. Si des débats publics sont organisés pour discuter de ce scandale, je vous prie, Monsieur Meyer, d’y prendre part. Pour votre honneur et par respect pour la communauté d’artistes que vous avez négligé et méprisé.

 

Cordialement

 

Benoît Moreau

 

 

Tom Gsteiger

nur ganz kurz und ohne grossen feinschliff:

 

mein gefühl: ist das nicht eine überreaktion einer letztlich sehr kleinen und nicht sehr relevanten szene? - das meiste, was mir aus diesem musikalischen bereich in letzter zeit zu ohren gekommen ist, kam mir doch recht steril bzw. klischiert vor (das streben nach extremer abstraktion ist für mich auch eine form von klischee). - wirklich spannende ansätze, wo ich mich einklinken konnte, kamen von musiker/innen, die ebenfalls stark in anderen musikalischen bereichen tätig sind und darum ganz unterschiedliche einflüsse in die impros einbauen. - aber alles in allem finde ich, dass die improvisation nach wie vor im jazz am besten aufgehoben ist - ich finde es einfach ergiebiger, mitzuverfolgen, wie sich jemand innerhalb eines vorgegebenen rahmens (das muss mitnichten ein konventionelles song-thema sein) improvisatorisch entfaltet. - grosse improvisatoren einer jüngeren generation sind für mich brad mehldau, hans feigenwinter, mark turner, tobias meier, colin vallon, usw.

 

liebe grüsse, tg.

 

 

Matthias Spillmann

Als Jazzmusiker mit offenem Geist (Selbstdeklaration) zu einer Schnittmenge von Jazz und Improvisierter Musik gehörend blicke ich sozusagen vom Rand auf die improvisierte Szene. Eine seltene Perspektive. Mit Interesse habe ich den Artikel von Thomas Meyer und die zahlreichen Reaktionen gelesen.

Auch mich beschlich gelegentlich schon das Gefühl, dass 2010 ein Stil «improvisierte Musik» existiert, dem ein feiner Modergeruch anhaftet. Das empfinde ich jedoch gar nicht als weiter beunruhigend, die Verwesung hat ja bereits eingesetzt. Wie von zahlreichen Diskussionsteilnehmern vor mir bereits dargelegt, hat jedoch die Haltung der freien Improvisation nichts an Aktualität, geschweige denn an Breitenwirkung verloren. (Nebenbei kann, was noch viel weniger bekannt ist, auch Jazz eine Haltung sein.)

Einen für mich interessanten Punkt möchte ich jedoch noch ansprechen: Im selben Abschnitt wird z.B. moniert, die Improvisation sei ja jetzt Studienfach an Hochschulen und gehöre deshalb nicht mehr zum «Underground» oder zur «Avantgarde» (per Definition der einzige Ort, wo «echte» Kreativität stattfindet?), sondern zum «Mainstream», um wenig später mangelnde gesellschaftliche Relevanz zu beklagen. Was für ein Widerspruch! Mir soll mal jemand, der es zu wissen glaubt, erklären, wo sich der Underground befindet und Mainstream ist wohl die Volksverdummung, die diverse Fernsehstationen und Gratiszeitungen täglich betreiben. Dort findet tatsächlich weder Improvisierte Musik, noch Jazz, noch zeitgenössische Musik statt, aber es gibt zum Glück noch andere gesellschaftlich relevante Orte. Bei der stark segmentierten modernen Gesellschaft sind die Begriffe Mainstream und Underground wohl kaum mehr ausreichend.

Ähnliche Gedankensprünge zum «Ende der Geschichte» kann man übrigens bei Kulturpessimisten in verschiedensten Musik- und Kunstsparten beobachten. Tatsächlich ist die improvisierte Musik so breit und vielfältig wie nie zuvor und der gesellschaftliche Einfluss deshalb grösser denn je. Allerdings gibt es niemanden mehr, der die Deutungshoheit beanspruchen könnte. Liegt da vielleicht der Kern des Problems?

Daneben glaube ich, dass sich das Gebot des «Widerstands» (gegen das «System»?) der «50+» Generation oder jeder selbsternannten Avantgarde vom Gebot der Stunde zur Ideologie und letztlich zur Pose gewandelt hat. Mitglieder jüngerer Generationen werden wohl Widerstand leisten, wenn sie es für nötig halten, nicht immer wird das die ältere Generation aber auch erkennen, geschweige denn anerkennen.

Matthias Spillmann

www.matthiasspillmann.ch

 

 

Marc Unternährer

Als Musiker und Mitinitiant des Mullbaus in Luzern bin ich erstaunt über Thomas Meyers Behauptung, die freie Improvisation sei am Ende. Das entspricht nicht meiner Wahrnehmung. Dankbar bin ich über die vielen Reaktionen meiner Vorgänger, die zu Recht und ausführlich darauf hinweisen, dass die jüngere Szene im Artikel total vernachlässigt wird. Seit fast drei Jahren organisieren wir in Luzern frei improvisierte Konzerte, leider noch immer unsubventioniert. Bei uns hört man Working Bands und ad-hoc Gruppen, die ältere sowie die jüngere Generation, internationale, nationale und lokale Grössen, Etablierte und Studierende, noisige Stream-Of-Consciousness-Bands und Miniaturen zirkelnde MelodikerInnen, elektronischen Minimalismus und Free Jazz. Ausserdem finden monatlich frei improvisierte Konzerte für Kinder statt. Nach den Konzerten wird bei uns unter den MusikerInnen zusammen mit dem Publikum sehr häufig Kritik geübt und debattiert. Gerade der Umgang mit Melodik oder auch Groove ist ein oft diskutiertes Thema und die Wiedereingliederung dieser in freie Kontexte ist ein Prozess, der interessant zu beobachten ist, natürlich mit mehr oder weniger gelungenen Ergebnissen. Trotzdem, um ein Zwischenfazit nach weit über hundert Konzerten zu wagen: Ich bin erstaunt, wie hoch die Qualität des Gehörten insgesamt ist, so unterschiedlich die einzelnen Standpunkte auch sein mögen.

 

Ich gebe Thomas Meyer recht, dass der Diskurs über diese Formen von Musik häufig vernachlässigt wird. Liegt das an der Sprache? Tatsächlich fehlt den ProtagonistInnen oft die Begrifflichkeit. Doch womit hängt das genau zusammen? Haben sich vielleicht nicht eher die TheoretikerInnen von dem Geschehen zu sehr entfernt? Ist die (akademische) Theorie ebenso überfordert, mit den neuen Tendenzen Schritt zu halten, wie die Musikmachenden überfordert sind mit den Etiketten, die ihnen sogleich angebracht werden? Zeichen dafür sind, dass sich MusikerInnen zieren, über ihre Musik zu sprechen und MusikjournalistInnen absurderweise behaupten, die freie Improvisation sei am Ende. Das befreit sie immerhin von der Anstrengung, neugierig zu bleiben und Konzerte zu besuchen, die sie möglicherweise überraschen könnten. Die MusikerInnen werden zum Glück nicht aufhören, über ihre Musik nachdenken zu müssen. Auch wenn sie manchmal Mühe mit Formulierungen haben.

 

Zu meiner Zeit am Konservatorium fand die einzige ästhetische Auseinandersetzung mit Musik im Improvisationsunterricht statt. Musikstudierende lernen diese Begrifflichkeit nicht und wollen sich später durch eine intellektualisierte Sprache nicht eingrenzen lassen. Eine fundierte Berichterstattung und Auseinandersetzung - und damit Anerkennung - fehlt in den Medien ebenso fast völlig. Die MusikerInnen reflektieren jedoch sehr wohl genauestens, was sie produzieren, das zeigt auch dieser Blog. Der Austausch ist extrem wichtig. Allerdings nicht unbedingt auf Symposien, die meistens von der von Thomas Meyer portraitierten Altersschicht einberufen und abgehalten werden. Wohin die Akademisierung zum Beispiel des Jazz, der neuen komponierten Musik oder neuerdings der Volksmusik im schlechtesten Falle führen kann, haben wir gesehen. Improvisierende MusikerInnen jeden Alters wollen sich nicht in einen Elfenbeinturm zurückziehen, sondern suchen die Bühne und das Publikum. Das ist, wie auch Thomas Meyer weiss, schwierig genug. Dass die Musikwissenschaft in der Wahrnehmung von neuen Tendenzen immer hinterher hinkt, liegt in der Natur der Sache. Schlimm wird es, wenn die Musikwissenschaft – beziehungsweise in diesem Fall die Kulturberichterstattung – der Musik sagt, dass sie an einem Endpunkt angelangt ist und die Kulturpolitik diese Thesen dankbar aufnimmt. Wenn die Schubladen zu sind, ist da kein Platz mehr für Neues.

 

Und doch: Die Freie Improvisation ist inzwischen als Unterrichtsfach an den Musikhochschulen verankert. Thomas Meyer meint, dass sie so ihren Underground-Bonus und ihre Ursprünglichkeit verspielt hat. Warum, ist nicht ganz nach zu vollziehen. Der zitierte Urban Mäder beschreibt sehr schön, warum Improvisation ein wichtiger Teil der musikalischen Ausbildung ist (ergänzend wäre hinzuzufügen, dass sie eine ideale Wahrnehmungsschule darstellt). Dabei geht es nicht allein darum, dass alle Teilnehmenden zu besseren MusikerInnen werden. Sie sollen wiederum das Interesse und das Rüstzeug erhalten, in ihrem späteren pädagogischen Tun an den Musikschulen Improvisation miteinbeziehen zu können, wie das die Pädagogik seit den siebziger Jahren fordert, um Kinder und Jugendliche ideal fördern zu können. Aus diesem Grund gibt es mittlerweile auch Improvisationskurse an den Pädagogischen Hochschulen. Dieser Anspruch ist ebenfalls hoch, allerdings nicht zu verwechseln mit dem künstlerischen Anspruch auf einer Bühne. Auf alle Fälle ist daraus nicht abzuleiten, dass diese Kunst ihre Notwendigkeit verloren hat. Im Idealfall schaffen wir uns so mittelfristig ein neues Publikum.

 

Neue stimmliche und textliche Projekte gibt es übrigens einige. Die Einflüsse sind zum Beispiel Slam Poetry, Rap oder die junge zeitgenössische Literatur. Zu nennen wären unter anderen das Projekt Bern Ist Überall, Michael Stauffer in diversen Projekten und Hörspielen zum Beispiel mit Hans Koch oder Hans-Peter Pfammatter, oder Jürg Halter alias Kutti MC, der mit Julian Sartorius, Fredy Studer, Philipp Schaufelberger und Vera Kappeler auftritt. Der Pop-Bereich (unter anderen) ist vielen tatsächlich ein nahes Bezugsfeld, und die Pop-Musik wird von ImprovisatorInnen bereichert (Julian Sartorius hat bis vor kurzem eine eigene Farbe in die Band von Sophie Hunger gebracht). Ausserdem wäre es eine Betrachtung wert, wie die Theaterarbeit oder die Kunstszene die frei improvisierte Musik bereichert und umgekehrt durch sie bereichert wird (ich erinnere zum Beispiel an das Duo Luigi Archetti/Bo Wiget).

 

Mir scheint, die Schweizer Szene ist in den letzten Jahren zusammen gerückt und dadurch so spannend wie nie. Die Qualität zählt, nicht der musikalische Background oder die Sprache. Das Wissen über verschiedene Musikstile – und dadurch der Respekt vor diesen – wächst. Auch der Austausch über die Landesgrenzen nimmt zu. Auch hier gibt es viele junge, kontinuierliche Beispiele: Die Projekte von Paed Conca mit libanesischen MusikerInnen, das Ensemble Rue Du Nord mit dem Projekt Swiss Balkan Creative Music, die vielen in den letzten Jahren durch das Luzerner Atelier in Chicago ausgelösten Kollaborationen und viele mehr.

 

Das sind alles Bereicherungen, die diese Form von Musik für mich lebendig erhalten und weiterführen und die nicht kompromisslerisch sind. Vielleicht finden junge MusikerInnen neue Antworten auf Fragen, die die Generation der 60-jährigen für sich schon beantwortet hat? Die Dogmen der frei improvisierten Musik gehören in das letzte Jahrtausend, inzwischen ist sie viel freier geworden.

 

Das zeigt sich an dem nächsten Missverständnis: Denn Thomas Meyer unterstellt der freien Improvisation, den Aufbruch in unbekannte Gefilde hinter sich zu haben. Als Beleg dient ihm ein Konzert dieses Jahres mit Peter Brötzmann, der «tatsächlich sogar schön geformte Linien» von sich gab. Abgesehen davon, dass die Diskussion, ob Brötzmann überhaupt spielen kann (oder Anthony Braxton swingen, Derek Bailey über Harmonien spielen, Picasso perspektivisch zeichnen...) ein  veraltetes Klischee ist, das mich langweilt, ist Brötzmann ein schlechtes Beispiel. Wer Ohren hatte zu hören, hat diese Seite von ihm schon viel früher wahrgenommen, spätestens auf seinen Solo-Aufnahmen. Eine schwere Operation vor ein paar Jahren und ein damit verbundener gesünderer Lebenswandel mögen das Ihrige dazu beigetragen haben. Thomas Meyer sieht das wohl als Rückschritt, doch wäre ich enttäuscht von Brötzmann, wenn er 40 Jahre lang gleich klingen würde. Die Zeiten haben sich gewandelt und gewisse Kämpfe sind ausgefochten. Auf den Zeitgeist pfeifend geht er seinen Weg weiter, wer will es ihm verübeln, bleibt neugierig und kraftvoll, wählt seine Mitmusiker, die mit ihm mithalten können und die oft ein gutes Stück jünger sind als er und klingt besser denn je.

 

Als Epilog auch ein Konzerterlebnis: Zufälligerweise am gleichen Wochenende wie der STV/Lucerne Festival Abend mit improvisierter Musik im Südpol fand im kleinen und wegen grossen Publikumsaufmarsches aus allen Nähten platzenden Mullbau ein von Christoph Erb kuratiertes Festival statt. Ausschnitte: Nach Hans-Peter Pfammatters lyrischem Klavierspiel hat Flo Stoffner ein laut-verzerrtes flächiges Solo-Gitarren-Set hingelegt, die junge Bieler Szene war vertreten mit Vincent Membrez und Lionel Friedli im qoniak Groove-Duo, direkt nach Hildegard Kleebs fast klassisch-modernen Klavierakkorden zu Pelayo Arrizabalagas Turntables. Davor war noch ein langer dramaturgischer Bogen des Elektronik-Duos strøm zu hören, einer veritablen Working Band. Mein persönliches Highlight war ein – wenn man so will – Generationen übergreifendes Trio mit Hans Koch, Christian Weber und Hans-Peter Pfammatter. Das klang nie altbacken, denn gerade die grosse Erfahrung dieser Musiker führte sie zu einer äusserst modernen, formal und inhaltlich überzeugenden Musik, mit Underground-Bonus. Es hatte alles, was Thomas Meyer vermisst. So ein Festival hätte vor 15 Jahren definitiv anders geklungen. 

 

Marc Unternährer

www.munter.li

 

 

Esther Roth

Der Beitrag stellt sich als unheilvolles Potpourri dar, vergeblich suche ich nach einem vertieften Gedanken oder einer spezifischen Recherche. Der Fokus ist sehr eng, beschränkt sich auf ein paar Events. Das befremdet, ist doch gerade das Thema, freie Improvisation, ein weites und weit verzweigtes Gebiet.

Seit den Entstehungsjahren Ende der 1950er Jahre und bis heute wurde und wird viel darüber diskutiert und geschrieben. Und sie findet heute statt und wird in Zukunft praktiziert werden! Die Art der Repräsentation hat sich allerdings entwickelt und verändert. Man findet sie halt nicht unbedingt an den marktorientierten und etablierten Veranstaltungen. Die Poesie der freien Improvisation hat es in sich: stellt man sie vor die Tür, kommt sie durchs Fenster wieder herein!

Im Beitrag finden sich etliche Ungenauigkeiten, welche freie Improvisatorinnen und Improvisatoren nicht gut vertragen!
 
Zum Beispiel:
«Die Musik allein ist nicht verständlich, sie muss vermittelt werden.» (S. 5, unten)
Musik ist eine universale Sprache, die problemlos verstanden werden kann, wenn nicht verstandesmässige Blockaden im Weg stehen. Das «Vermitteln» versucht mit aussermusikalischen Mitteln Sand ans Meer zu tragen und kommt meistens unbefriedigend und unglücklich daher. Musik muss nicht verstanden, sondern gefühlt werden. Eine künstlerische Aussage passt nicht aufs Serviertablett, sie lädt ein zu vertiefendem Fühlen, Wahrnehmen und Denken. Und sie ist im Sinne des lateinischen Begriffs «schön»! Die Herausforderung ist den Hörerinnen und Hörern zumutbar!
 
Zum Beispiel:
«Es ist schon interessant festzustellen, dass die Repräsentation des Musikalischen in den Hintergrund tritt.» (S. 6, unten)
Wenn die Absenz von Klangphänomenen das Geschehen prägt, sind wir im Bereich der Stille. Stille, theatralische Gesten und scheinbar aussermusikalische Handlungen verstehen wir seit Cage ausdrücklich als «Repräsentation des Musikalischen», und zwar zentral und im Vordergrund. Diese und Anderes mehr sind Phänomene im Zeitablauf.
 
Zum Beispiel:
Werner Klüppelholz wird zitiert: «...die freie Improvisation sei vielleicht die höchste der Kunstformen.»
Thomas Meyer dazu: «Emphatisch überhöhte Hilflosigkeit.» (S. 7)
 Klüppelholz’ Aussage lädt ein zu einem genaueren und erweiterten Darüber-Nachdenken und verdient keineswegs eine solche schnöde Aburteilung.
 
Esther Roth

 

 

Denis Beuret

La musique, en tant qu’art du temps, se meurt à l’issue de chaque interprétation d’une œuvre, que celle-ci soit écrite ou improvisée n’y change rien. Une fois qu’on a fini de jouer, la musique cesse de vivre, si ce n’est dans nos souvenirs; à moins qu’elle ne soit enregistrée ou transcrite, de mémoire ou grâce à l’écoute d’un enregistrement, auquel cas, on pourra lui redonner vie momentanément, le temps d’une écoute de disque ou d’une interprétation, jamais plus longtemps. 

 

La musique n’est pas figée, au contraire d’une œuvre d’art, plus ou moins immortelle, mais vit de manière éphémère, le temps qu’on la joue, pas plus. Il est donc difficile de spéculer sur la valeur de la musique.

 

La musique improvisée est la musique car toute musique part d’une improvisation, quand bien même celle-ci se résume parfois à improviser un motif de quelques notes et à échafauder ensuite, sur cette base, toute une symphonie.

 

L’improvisation est égale à l’inspiration et tout le monde conçoit que sans inspiration il n’est pas d’œuvre musicale digne de ce nom.

 

L’improvisation est expérimentation et elle permet de trouver de nouveaux langages musicaux qui seront ou non figés et codifiés par l’écriture et la composition.

 

L’improvisation est la vie. La vie est improvisation. Toute notre vie, nous improvisons notre vie.

 

Maints compositeurs du passé ont été des improvisateurs renommés, Bach, Mozart, Beethoven, Schubert, Saint-Saëns, Chopin, Messiaen, … pour n’en citer que quelques-uns.

 

Maints improvisateurs actuels sont des compositeurs et il n’y a pas de raison de mettre en doute le lien qui existe entre ces deux actes musicaux que sont l’improvisation et la composition, ni d’élever l’un de ces actes au-dessus de l’autre. Les improvisateurs composent en temps réel, les compositeurs en temps différé. Le reste n’est que vaine et insalubre querelle.

 

L’écriture musicale, faut-il le rappeler, a été inventée pour servir de pense-bête aux musiciens, afin qu’ils se souviennent d’airs connus, puissent noter leurs idées musicales et transmettre leurs connaissances à d’autres musiciens.

 

Prétendre que l’improvisation est morte équivaut à dire que la musique est morte !

 

Une musique est morte quand plus personne ne la joue, mais elle peut renaître dès qu’un musicien la rejoue.

 

La musique de Bach n’a pour ainsi dire plus été jouée depuis sa mort (celle de Bach, pas de sa musique) jusqu’à l’époque Romantique. Etait-elle morte pour autant ?

 

De nombreuses compositions de musique ancienne furent ressuscitées au vingtième siècle alors qu’elles avaient, pour la plupart, sombré dans l’oubli pendant des siècles et aucun critique ou journaliste musical n’avait prédit leur résurrection.

 

Une des caractéristiques de notre époque est que l’on joue plus de musique de compositeurs décédés que de compositeurs vivants, hormis les compositeurs de musique de divertissement.

 

Ce constat amène deux questions :

  • Pour quelle raison la musique de compositeurs décédés est-elle plus jouée que celles des compositeurs vivants ?
  • Comment se fait-il que les compositeurs de musique de divertissement soient plus joués que les compositeurs décédés depuis plus de 50 ans ?

Les raisons sont malheureusement plus financières qu’esthétiques :

  • Les compositeurs contemporains sont protégés par les droits d’auteurs et les promoteurs culturels rechignent à prendre des risques en programmant un compositeur contemporain, d’autant plus qu’ils devront payer des redevances pouvant s’élever à 10% du budget total. Ils préfèrent programmer des compositeurs « ayant fait leurs preuves » et dont les œuvres ne sont plus protégées. Ils font ainsi une double économie.
  • L’industrie de la musique de divertissement est basée sur les modes qui sont, par définition, éphémères.

Et la musique improvisée dans tout cela ?

 

La musique improvisée n’est pas un produit commercialisable : On peut, bien entendu, enregistrer des concerts, graver des disques et inonder le marché avec des disques de musique improvisée, mais il est totalement contraire à l’esprit de l’improvisation de reproduire à l’identique, lors d’un concert, une improvisation passée.

 

Or l’industrie musicale est formatée selon les mêmes modèles que l’industrie tout court :
Reproduire à l’identique et au moindre coût des produits formatés pour plaire au plus grand nombre et dont la durée de vie est la plus courte possible. Notre société de consommation est basée sur ce schéma et l’on n’a pas encore mesuré l’ampleur des dégâts environnementaux et humains engendrés par cette course effrénée aux profits. Le réchauffement climatique qui s’amorce aura des conséquences que nul ne peut imaginer.

 

Et la musique improvisée dans tout cela ?

 

En refusant d’entrer dans ce schéma industriel, la musique improvisée est encore et toujours un mouvement de contestation, comme dans les années 60, rien n’a changé !

 

La musique improvisée s’est simplement adaptée en intégrant de nouveaux composants telle l’utilisation de l’électronique ou de techniques et langages contemporains, souvent eux-mêmes issus d’expérimentations improvisées. La boucle de rétroaction ainsi formée et la faculté d’adaptation réciproque de l’improvisation et de la composition démontre la vitalité de la musique contemporaine car, comme tout le monde le sait :

 

La faculté d’adaptation est le propre des organismes vivants !

 

CQFD

 

Denis Beuret

Ministre Suisse de la Culture
Tromboniste, improvisateur, compositeur, développeur, …
Membre des comités : SMS, WIM Bern, 11+ Lausanne
Membres de : ASM, USDAM, SSRS, AMR, Live in Vevey, Spirale, Nouveau Monde, …
Administrateur de l’Association Nouvelles Créations

 


www.denisbeuret.ch

www.ministeredelaculture.ch/
www.a-n-c.info

 

 

Miriam Sturzenegger

Als bildende Künstlerin, die allerdings einen engen Kontakt pflegt mit einer Vielzahl von freien ImprovisatorInnen, habe ich durch die heftigen Diskussionen unter befreundeten MusikerInnen von Thomas Meyers Artikel und dessen politischen Konsequenzen erfahren und zuerst die Reaktionen gesehen, bevor ich überhaupt den Artikel selbst gelesen hatte. Das holte ich dann nach und stellte, nachdem ich anfangs schon sehr kritisch war, fest, dass der Artikel zwar Gefährliches ausgelöst hat, als solcher aber sehr interessante und relevante Überlegungen anstellt, die vielleicht nicht eindeutig genug dargelegt sind.

 

Erfreut bin ich über die zahlreichen Antworten seitens der MusikerInnen, die teilweise sehr fundiert argumentieren und von einem engagierten Selbstbewusstsein zeugen. Selber habe ich beim Lesen des Artikels über einen Aspekt nachgedacht, der verständlich machen würde, was Thomas Meyer eigentlich meint, wenn er von einem Endpunkt spricht. Dieser Aspekt ist vom Autor leider nicht explizit genug formuliert, was wohl zu Missverständnissen geführt hat und angesichts der politischen Verstrickungen gefährlich ist.

 

Vorweg: Dass dieser Artikel eines freien Kritikers von Seiten der Kulturpolitik, im Speziellen gewisser Förderinstanzen, auf den Satz reduziert wird, die freie Improvisation sei am Ende (im Sinne von: habe nichts mehr zu sagen) und in der Folge zur Rechtfertigung für negative Entscheide auf Beitragsgesuche herangezogen wird, ist inakzeptabel. (Ebenso tragisch ist, dass in den entscheidungstragenden Positionen gewisser Förderinstanzen Personen sitzen, die sich mit der Materie, über die sie zu entscheiden haben, überhaupt nicht auskennen, so dass sie sich in solch peinlicher Weise auf einen Kritiker beziehen müssen.)

 

Sehr problematisch ist dabei zweitens, dass der Autor selbst als Kommissionsmitglied mit der betreffenden Förderinstitution verknüpft ist, was einem Bruch mit dem Prinzip der Gewaltentrennung gleichkommt. Allerdings hoffe ich, dass sich Herr Meyer hier nicht durch dieses Mandat beeinflussen liess und bin überzeugt, dass er den Artikel aus eigener Motivation verfasst hat.

 

Zudem muss ich aber auch annehmen, dass sich der Autor nicht bewusst gewesen ist, wie der Artikel in der Kulturpolitik rezipiert werden würde, dass seine Worte derart instrumentalisiert werden würden. Dass der Autor mit der Aussage, die freie Improvisation sei am Ende, diese Szene, die er jahrelang als Kritiker begleitet hat, von heute auf morgen totsagen will, kann ich mir schlicht nicht vorstellen.

 

Es bleibt deshalb die Frage: Was wollte der Autor mit diesem Artikel bewirken? Und weshalb hat so Wichtiges ausser Acht gelassen: nämlich die rege Aktivität einer vielseitigen Szene zu erwähnen?

 

Ich gehe nicht von bösen Absichten aus und denke auch nicht, dass Meyer auf diese Weise die MusikerInnen anspornen wollte. Der Eindruck, den die Lektüre bei mir hinterliess, ist vielmehr der, dass Meyer als Kritiker sich selber die Frage stellt, wie künftig angemessen und differenziert, kritisch und anspruchsvoll über diese Musik zu schreiben und zu sprechen sei. Dass er sich fragt, wo die theoretische Auseinandersetzung steht in Bezug zur Praxis, oder was das heute ist, die freie Improvisation. Ich stelle die Vermutung in den Raum, dass dieser Artikel nicht das Ende einer Musikpraxis meinte, sondern die Notwendigkeit von neuer Reflexion, ausgehend von den jungen ImprovisatorInnen.

 

Dass dieser Autor als einer der wenigen, die sich hierzulande aktiv und kontinuierlich in der Kulturpresse zur freien Improvisation äussern, eine kritische und vielstimmige Diskussion vermisst, kann ich gut nachvollziehen. Ich denke, dass ein Problem der Improvisation – und auch das Problem der Rezeptionsgeschichte von Meyers Artikel – in der problematischen Begrifflichkeit liegt. Der Diskurs zur freien Improvisation wird tatsächlich, besonders unter MusikerInnen jüngerer Generationen, kaum geführt, im Vergleich etwa zur stark gewichteten Reflexion in der bildenden Kunst. Zwar wird nach Konzerten, vor allem in kleinen Konzertlokalen wie dem von MusikerInnen geführten Mullbau in Luzern, unter den auftretenden MusikerInnen gemeinsam mit BerufskollegInnen und aussenstehenden Personen aus dem Publikum sehr intensiv und auch heftig, aber offen und ohne Dünkel über das Gehörte und darüber hinaus diskutiert. Doch diese Gespräche werden nicht bis ins Feld der Theorie getragen, bzw. die jüngeren MusikerInnen diskutieren unter sich, treten aber nicht als Sprechende oder Schreibende nach aussen. Dem mögen schlechte Erfahrungen mit Theoretikern zugrunde liegen, mangelnde Übung im verbalen Formulieren von Erfahrungen und Intentionen oder schlicht Desinteresse an der Sprache. Jedenfalls scheint eine Theoriebildung aus der Praxis heraus, eine nach aussen getragene Reflexion der Praxis durch die MusikerInnen selbst und damit die aktive Beteiligung an der Diskursbildung tatsächlich weitgehend zu fehlen.

 

Das ist die eine Seite, auf der anderen stehen die Theoretiker, Kritiker, unter denen die Auseinandersetzung mit Improvisation ebenfalls wenig öffentlich stattfindet – möglicherweise gerade deshalb, weil ein Verständnis dafür eben sehr viel Teilnahme durch Hören verlangt und das Sprechen darüber nicht möglich ist, indem man sich derselben Sprache bedient, in der man über kompositorische Prinzipien spricht. Vielmehr müsste die Sprache für das Sprechen über diese Musik erweitert werden, woran auch die MusikerInnen beteiligt sein müssen. Es sind ja die Begriffe, die unsere Vorstellungen prägen und auch begrenzen, die irgendwann zu eng sind oder zu belastet, die dann durch andere ersetzt oder aber einer Neudefinition/Erweiterung unterzogen werden müssen.

 

Da liegt meines Erachtens ein Problem dieses Artikels und der Diskussion, die dazu entstanden ist. Der Autor selbst differenziert leider nicht zwischen den verschiedenen Ebenen, auf denen der Begriff freie Improvisation gelesen werden kann. Die antwortenden MusikerInnen haben zum Teil sehr differenziert und anschaulich diese Bedeutungsebenen herausgezeichnet. Sich der Unterschiede in der Diskussion bewusst zu sein, ist wichtig für die Schlussfolgerungen, die LeserInnen aus dem Artikel ziehen, und eben auch für die politischen Konsequenzen.

 

Ich möchte im Folgenden kurz die im Artikel anklingenden Ebenen auseinanderhalten.

 

Zum Einen wird auf die historische freie Improvisation Bezug genommen, die damals als eine Bewegung entstanden ist und grossen Einfluss auf die Entwicklung der Musik hatte. Wie auch in der bildenden Kunst war dies eine Zeit, in der die Thematisierung der Grenzen ein wesentliches Anliegen der KünstlerInnen war, es galt, diese Grenzen zu erweitern, verschieben, aufzulösen. Damit rührte man an noch existierenden Tabus, man leistete unweigerlich Widerstand gegen die bürgerlichen Normen im Kulturverständnis, gegen den akademischen Kanon, gegen konservative ästhetische Vorstellungen. Freie Improvisation zu praktizieren oder Aktionskunst zu machen war damals eine politische Handlung, automatisch, es war provozierend und existentiell, denn es ging darum, die Freiheit der Kunst gegenüber der Gesellschaft durchzusetzen und sich von der Vergangenheit zu emanzipieren. Freie Improvisation hiess, gegen den bürgerlichen Geschmack zu verstossen, damit auf Ablehnung zu stossen, als schlechter Musiker verschrien zu sein, kämpfen zu müssen. Freie Improvisation war damals eine Ideologie, für die man alles gab. Dies ist die Dringlichkeit, von der im Artikel gesprochen wurde, die Revolution, die vorbei sei.

 

Als solche, als ideologische Revolution, hat diese sicher stattgefunden, wie erwähnt wird. Wir wissen, dass wir heute nicht mehr provozieren können mit einem Konzert, das auf der ästhetischen Ebene Grenzen auslotet. (Tabus sind heute anderswo, etwa jenseits der political correctness.) Auch ist Provokation heute nicht die Triebfeder der freien Improvisation. Es gibt auch keinen Grund dazu, die gesellschaftliche Repression ist nicht mehr so stark wie damals. Die freie Improvisation als Ideologie, wie sie damals gelebt wurde, die ist vorbei.

 

Aber die freie Improvisation ist weit mehr als nur diese Ideologie. Da wurde etwa auch verschiedentlich von Methode gesprochen. Eine Arbeitsweise, die weder an eine bestimmte Zeit gebunden ist noch an eine enge Szene. So kommen die MusikerInnen, die Improvisation als Methode praktizieren, von ganz unterschiedlichen Gebieten her, aus der Klassik, dem Jazz, der Elektronik, dem Hiphop. Als Methode kann sie auch neben anderen Methoden zum Einsatz kommen, in Kombination. Und als Methode kann sie natürlich ein Stück weit vermittelt werden, wie dies etwa, wie erwähnt, an der Luzerner Hochschule geschieht. Hier wird mit Möglichkeiten, Spielweisen experimentiert, es wird diesen im dichten Lehrplan des Studiums ein Platz geboten und zwar durchaus mit der Idee, die Wichtigkeit solchen Arbeitens im Gegensatz zum interpretierenden Spiel zu betonen und zu fördern, und nicht um freie Impulse hiermit in eine Bahn zu lenken. Das ist wichtig, um innerhalb unserer durchstrukturierten, leistungsorientierten Hochschulen und Berufswelten ein Bewusstsein für offene Arbeitsformen, für Wahrnehmung und nonverbale Kommunikation zu bewahren.

 

Dass die Eingliederung der Improvisation in die Hochschule kritisch betrachtet wird, ist richtig und wichtig, denn wir wissen, dass eine institutionelle Vereinnahmung das beste Mittel ist, um rebellische Tendenzen zu schwächen. Doch wenn Methoden vermittelt werden, so bleibt das improvisatorische Denken noch immer Aufgabe des Einzelnen – es lässt sich nicht lehren, aber auch nicht durch Erziehung brechen.

 

Denn neben Ideologie und Methode sehe ich eine dritte Existenzform, in der freie Improvisation auch heute noch sehr lebendig und zeitgemäss ist: die der Haltung. Hier geht es, im Unterschied zur historisch geprägten Ideologie, nicht um eine explizit politische Bewegung, sondern um ein Denken, das die MusikerInnen als Menschen prägt: um ihre Form der Auseinandersetzung mit der Wahrnehmung von Raum und Zeit und Materialität, um ihre Aufmerksamkeit, um ihren Forschergeist, um ihr Bedürfnis nach ständigem Neuanfang (zu Recht wurde in vorangehenden Texten sehr schön formuliert, dass eine Improvisation nach jedem Spiel stirbt und mit jedem neuen geboren wird). Diese Haltung lebt unglaublich vielfältig weiter, bei einer Menge junger MusikerInnen, und sie entwickelt sich mit der Zeit weiter. Diese Haltung haben auch die älteren Hasen beibehalten, die sich, wie Meyer erwähnt, neuen Bereichen geöffnet und Einflüsse produktiv integriert haben.

 

Und gerade weil die ideologischen Fesseln mittlerweile weggefallen sind, kann sich die freie Improvisation als Haltung heute weitaus breiter und heterogener entfalten als damals – sie ist vielleicht gar im eigentlichen Sinne freier, weil undogmatischer geworden. Die frei improvisierenden MusikerInnen beziehen, wie auch in anderen Textbeiträgen erwähnt wurde, vielseitigste Einflüsse mit ein, was nicht zur Abschwächung des improvisatorischen Gedankens führt, sondern zu dessen steter Bewegung, Erneuerung, Diversifizierung, zu einer bereichernden Heterogenität. Es stimmt, dass viele MusikerInnen sich heute parallel sowohl auf dem Gebiet der Improvisation als auch der Komposition und Interpretation, des Jazz oder der Neuen Musik beschäftigen, dass diese unterschiedlichen Tätigkeitsbereiche sich auch gegenseitig inspirieren, aber das halte ich weniger für eine künstlerische Inkonsequenz als vielmehr für ein Merkmal unserer Zeit, für einerseits eine Folge des Stilpluralismus in der Kunst und aber auch des Multitaskings in der Arbeitswelt und der elektronischen Vernetzung und gewaltigen Verfügbarkeit auf der Ebene der Information. Es ist heute einfacher, als improvisierender Musiker etwa auch Zugang zu haben zu Formen der Improvisation, die in anderen Völkern traditionsgemäss praktiziert werden und dadurch seinen Horizont zu erweitern. Ich stelle heute eine riesige Neugier dem verschiedenen Klangmaterial gegenüber fest, und gerade in Reaktion auf die kulturpolitischen Tendenzen der letzten Jahre, alle künstlerischen Ausdrucksformen zu kategorisieren, entwickeln FreidenkerInnen das Bedürfnis, sich diesen eindeutigen Zuschreibungen zu entziehen.

 

Auf diese Weise entwickelt sich die freie Improvisation mit der Zeit weiter und bleibt lebendig, sie sucht den Kontakt zum experimentellen und freien Theater, zur Spoken Word Szene oder auch zur Neuen Musik – und ja, ich selbst als bildende Künstlerin bin durch den engen Austausch wesentlich geprägt worden – weil dank des Wegfalls der Ideologien die verwandten ästhetischen Fragen sichtbar werden.

 

Zurück zu Meyers Rede vom Ende der Improvisation und Problem des fehlenden Diskurses. In Anbetracht der vorangegangenen Gedanken scheint mir hier ein Teil des Problems beim Begriff zu liegen, bei der Art, wie er verwendet wird und der unklaren Deklaration der Bedeutungsebene im Text von Meyer.

 

Eine klare Positionierung seitens des Autors wäre hier zwingend nötig, um nicht eine äusserst aktive, engagierte, von Eigeninitiative getriebene Szene missverständlicherweise totzusagen.

 

Ich höre aber auch ein Zweifeln des Autors bezüglich der Begrifflichkeit und die damit implizierte Nachfrage um Antworten von anderen heraus: Ich höre heraus, dass Thomas Meyer an die LeserInnen die Frage richtet, wie heute über die Improvisation gesprochen werden kann. Ich höre seinen Ruf – sowohl an die MusikerInnen wie an die TheoretikerInnen – nach einer verstärkten Diskussion der Begriffe. Dass er dies tut ist nur verständlich, denn als Kritiker ist die Begrifflichkeit sein Material, nicht die Töne sind es, und somit wird er natürlicherweise darum besorgt sein, dass man auch auf dieser Ebene nicht stehen bleibt, sondern kritisch fragt: Dienen die geläufigen Begriffe von damals noch für eine Diskussion der heutigen Praxis?

 

Nun kann man als MusikerIn sagen, das sei doch irrelevant. Einer solchen Begriffsscheu begegnet man bisweilen in der jüngeren Generation. Doch diese Fragen haben heute eine neue Dringlichkeit, da sich auch die Musikhochschulen gemäss dem bildungspolitischen Auftrag im Bereich der Forschung betätigen müssen. Thomas Meyer ist selbst an einem Forschungsprojekt zusammen mit – teilweise auch komponierenden – improvisierenden Musikern beteiligt, und als Theoretiker in der Gruppe fällt ihm natürlich stark die Rolle der begrifflichen Reflexion und Positionierung zu. Nun wäre es meiner Ansicht nach absolut wichtig, dass ein Prozess der Begriffsbildung nicht nur hochschulintern initiiert und geführt wird, sondern von den in der freien Szene aktiven improvisierenden MusikerInnen mitgetragen und wesentlich mitbeeinflusst wird. Nur gestützt auf eine vielseitige Praxis, auf heterogene Stimmen kann ein Diskurs wachsen, welcher der Vielfalt der freien Improvisation gerecht wird.

 

Im Vergleich dazu ist es in der bildenden Kunst selbstverständlich, dass KünstlerInnen sich verbal zu ihrer Arbeit äussern können müssen, dass sie sich im aktuellen Kontext positionieren können, dass sie eine Sprache entwickeln, um ihre Ideen zu formulieren. Ohne diese Fähigkeit kommen wir als bildende KünstlerInnen nirgendwo hin, besonders heute, da wir uns grösstenteils selber managen. Dieses Bewusstsein für die reflektierende Ebene des Schaffens ist nicht neu, schon seit jeher haben Kunstschaffende auch geschrieben, debattiert, Texte veröffentlicht. Infolgedessen ist auch die Diskussion um Begriffe, ihre Verwendbarkeit und Aktualität viel intensiver, bisweilen rückt sie gar zu sehr in den Fokus und behindert den offenen Blick. Die begriffliche Reflexion hilft aber auch, aktuelles Schaffen zu früheren, ähnlich motivierten Tendenzen in Bezug zu setzen, davon abzugrenzen und in einem neuen zeitlichen Kontext zu aktualisieren.

 

Natürlich hat das, bei aller Schärfung der Reflexion, auch zu einer Überschwemmung von definierten Kunstformen geführt, die in der Praxis dann auch viel zu eng sind. So üben heute – vielleicht ähnlich wie in der improvisierten Musik – viele KünstlerInnen eine vielschichtige, heterogene Tätigkeit an Schnittstellen zwischen Gattungen, zwischen Kunst und anderen Disziplinen aus und entziehen sich dezidiert einer Zuordnung, nicht ohne aber für sich selbst doch eine Form des Sprechens zu suchen.

 

So wünsche ich mir für die frei improvisierenden MusikerInnen, dass sie ihre Offenheit und Aktivität beibehalten, dass sie aber auch den Diskurs suchen, mitentwickeln und sich bewusst sind: die freie Improvisation kann – als ideologisch geprägter Begriff – vielleicht vergangen sein, aber als Denken bleibt sie hochaktuell. Und die freie Improvisation mag sich auch fragen, was heute ihre Dringlichkeit, ihre gesellschaftliche Notwendigkeit ist: Denn diese ist sicher nicht die gleiche geblieben wie damals, sie liegt nicht mehr im Niederreissen der Grenzen von Musik, aber eine Notwendigkeit gibt es. Ich vermute sie stark etwa auf der Ebene der Aufmerksamkeit und Konzentration auf einen Moment, einen vielleicht ganz leisen, ganz langsamen Moment, in der Fähigkeit, sich auf etwas einzulassen, das man nicht im Vornherein weiss und nicht kontrollieren kann und in der Tatsache, dass nur die physische Begegnung, die Einmaligkeit von zusammenfallenden räumlichen, zeitlichen, emotionalen, mentalen Bedingungen gewisse musikalische Erfahrungen ermöglicht.

 

Wie zu Beginn erwähnt: Dass die jungen freien ImprovisatorInnen sich aus einem breiten Diskurs eher zurückhalten, damit hat Thomas Meyer wohl Recht. Dass er aber trotzdem mit keinem Wort (!) die Existenz dieser grossen dynamischen Szene mit jungen MusikerInnen, die sich beharrlich der freien Improvisation widmen, erwähnt, das nehme ich ihm doch sehr, sehr übel. Denn damit ebnet er den Weg für eine verheerende Fehlinterpretation seines Artikels durch Musikförderinstitutionen. Ich selbst besuche im Schnitt drei- bis viermal monatlich ein Konzert im Mullbau in Luzern, dabei sind SolistInnen, Duos, Trios, die ich schon kenne und solche, die für mich immer wieder Neuentdeckungen bieten, und ich war noch jedesmal überrascht, ich höre immer wieder Anderes als das, was ich erwartet habe und möchte auf den intensiven gedanklichen Austausch, den ich als Künstlerin dort mit den MusikerInnen in den letzten drei Jahren erlebt habe, auf keinen Fall verzichten.

 

Thomas Meyer lade ich von Herzen ein, endlich auch einmal und künftig möglichst oft an die Konzerte in den Mullbau zu kommen (das gleiche empfehle ich ihm für die Konzerte, die in Biel, Lausanne, Genf etc. organisiert werden), denn er wird überrascht sein, wie viel es da zu entdecken gibt. Und ich freue mich, mit ihm und den anwesenden MusikerInnen zu diskutieren.

 

Denn ich bin mir immer noch nicht im Klaren darüber, was er mit seinem Artikel bezwecken wollte, und das würde mich doch sehr interessieren.

 

Mit besten Grüssen

Miriam Sturzenegger

(5. Oktober 2010)

 

 

 

 

Omri Ziegele

Zu fragen wäre erstmal, wie viel Kompetenz einer braucht, um solch grosse Frage zu stellen. Die Frage, die jener auf dem Fuss folgt, wäre diejenige, ob diese grosse Frage sich nicht längst selbst erledigt hat, selbst tot ist, oder wievielmal muss man eigentlich den Jazz für tot erklären, den RocknRoll, die Kunst an sich, wievielmal muss man mit Pathos in der Brust ausrufen, dass dieses oder jenes nicht mehr lebendig ist, keine Substanz mehr hat, ausgelutscht, zu Ende geschrieben, -geblasen ganz und gar von nichtiger Bedeutung? Bird lives! Wer so totalitär fragt, setzt sich selbst dem Verdacht aus, dass es um seine Vitalität, seine vitale Teilnahme am Geschehen um sich herum nicht mehr zum besten bestellt ist; wer so grossspurig fragt, muss gewahren, dass der Verdacht, den er ausspricht, sich auf ihn selber richtet...

 

Natürlich darf Thomas Meyer fragen; denn gute Fragen sind gemeinhin immer Bereicherung der Kultur. Nur wer schlechte Fragen stellt oder falsche, muss gar nicht auf Antwort warten. Fragen nach dem Totsein dieses oder jenes Stiles sind obsolet, vorgestrig und langweilig. Musik, Kunst, Ausdruck ist dort lebendig, wo lebendige Menschen sich auseinandersetzen mit Ihrer Zeit, Ihrem Leben und Ihrer Kunst. Wer ein Leben lang nach Antworten auf schwierige Fragen sucht, bleibt lebendig und als Künstler aussagekräftig. Ich frage deshalb nicht, spielt der oder die frei, macht der Bebop, ist sie Impressionistin, ich frage, wie stark ist die Relevanz seiner Aussage für meine Zeit und darüber hinaus für alle Ewigkeit (Amen). Long live RocknRoll! Und da kann einer (oder eine) daherkommen und sich sein Rüstzeug geholt haben, wo immer er will; da wo es keine massgebenden Stile mehr gibt, keine einheitliche Vorhut mehr(einst kämpferisch Avantgarde genannt), lebt die Kunst in den einzelnen Zusammenhängen; in den Zusammenschlüssen von Besessenen, glücklichen Fügungen von Momenten und Überlappungen von Disparatem, einst Unvereinbarem; keine Kunstart kann sich für die Ewigkeit selber alimentieren, doch immer wieder kommen Junge, Neue, mit naturgemäss denselben Fragen wie die Alten, um dann den Antworten, die es schon gibt, eine neue Färbung beizumischen, einen neuen Glanz. Long live Satchmo. Mehr kann freie Musik nicht, Rocknroll nicht, aber auch nicht die Literatur oder die Oper. Wir leben in einer Zeit, in der alle Experimente gemacht wurden --- machen wir sie!!

 

Johann Sebastian lives! Etwas anderes beunruhigt mich weit mehr als Thomas Meyers Artikel: Ein Gespenst geht um in Europa, seit den 60er Jahren, damals hörte es noch auf den Namen FREE JAZZ. Wenn es heute nur diesen (vergleichsweise harmlosen) Artikel braucht, um die Stimmen zu mobilisieren, die ressentimentgeladen und als hätten sie schon lange auf diesen günstigen Moment gewartet, rufen: Nieder mit der Freien Musik, dann gemahnt das mich an einen Kleinmutgeist, den ich in diesem Lande längst überwunden glaubte. Wenn Institutionen, die die Künste fördern, jetzt Rückzüge machen und Personen, die in der Öffentlichkeit schreiben, diese Art (welche?) von Musik niederkläffen, dann beschämt und bestürzt mich das. Denn (Elvis lives!): Improvisation ist der Anfang und das Ende jeder Musik; wer hat schon komponiert, ohne auszuprobieren und herumzutüfteln, wer hat schon wahrhaftig gespielt, ohne diese Lust zu kennen, die einem der offene Raum zwischen zwei Tönen biegsam gewährt, seien diese notiert oder vom Winde herbeigebracht; und seien die Noten auch nur 1/32tel voneinander entfernt?! --- Es lebe Albert Ayler!

 

I always wanted to play what’s inside of me and what came across the air, whether you may give it a name or not.

 

Omri Ziegele

(6. Oktober 2010)

 

 

Walter Fähndrich

Lieber Thomas

 

Zuerst möchte ich Dir danken dafür, was Du seit Jahren für uns Improvisatoren und für die Improvisationsszene im allgemeinen Gutes und Nützliches getan hast. Du hast Dich immer wieder für uns eingesetzt und in verschiedenen Medien der Improvisation ein Forum gegeben. Deine grossen Verdienste in dieser Hinsicht waren und sind sehr wertvoll und absolut unbestritten.

 

Mit Deinem Artikel in Dissonanz hast Du Dich nun aber so weit aus dem Fenster gelehnt, dass Du abgestürzt bist. Der Artikel ist leider dermassen voll von faktischen Fehlern, fundamentalen Missverständnissen und Informationslücken, dass ich eigentlich nicht darauf eingehen wollte.
Nachdem ich nun aber auch noch Deine Replik auf die Reaktionen von meinen Improvisationskollegen gelesen habe, und meine Verärgerung dadurch eher noch stieg, kann ich jedoch nicht anders, als, schweren Herzens, auch zur Feder zu greifen, um ganz kurz zwei Dinge klarzustellen:

 

1. Der improvisierten Musik geht es blendend. Sie ist durch und durch gesund, vital, strotzt vor Kraft und ist an allen Ecken und Enden in Bewegung. Es ist eine Freude, zu sehen, wie das Improvisieren immer mehr an Terrain gewinnt und sich zunehmend und unüberhörbar in Szene setzt. Diese erfrischende und gleichzeitig tiefe Einsichten in die fundamentalen Prozesse des Musik-Entstehens ermöglichende Musizierform wird auf breiter Ebene immer mehr geschätzt und ernsthaft gepflegt.
Das gilt übrigens auch für deren Vermittlung an den Hochschulen (an der Musikhochschule Basel gibt es seit 2003 sogar ein Masterstudium mit dem Studien-Hauptfach Freie Improvisation) und es gilt auch für die Reflexion über das Improvisieren (im Amadeus-Verlag sind zwischen 1992 und 2007 sechs Bände (Improvisation I - VI) mit gesamthaft über 70 Beiträgen verschiedener Autoren zu diesem Thema erschienen).

 

2. Der Artikel in Dissonanz sagt zwar kaum Relevantes aus über die Situation der Improvisation, sehr viel jedoch über den Zustand, in dem sich die Berichterstattung darüber befindet. Leider ist er typisch für die Art und Weise, wie diese sich der Schubladisierung entziehende Musizierweise von aussen wahrgenommen wird und für das unzulängliche Niveau, auf dem meist darüber berichtet wird. In Anbetracht dessen müssen wir froh sein darüber, dass die Arbeit von uns Musikern mit den ahnungslosen Äusserungen von Aussenstehenden nichts zu tun hat.

 

Liebe Mitmusiker, lasst uns weiter musizieren und von innen über unsere Arbeit reflektieren wie bisher. Lassen wir uns von missglückten journalistischen Statements nicht verunsichern und halten wir uns an das berühmte Motto:

 

Die Berichterstattung über das Improvisieren hat für die praktischen Musiker meist die gleiche Bedeutung wie eine ornitologische Abhandlung für das Liebesleben der Vögel.

 

Mit trotzdem herzlichen Grüssen,

Dein Walter Fähndrich

(Brissago, 6. Oktober 2010)

 

 

Thüring Bräm : Ist die Freie Improvisation am Ende? Noch eine Ergänzung zu Thomas Meyers Artikel

Ich glaube, da hat Thomas Meyer in ein Wespennest gestochen. Dank an ihn, dass er das getan hat. Die erstaunliche Resonanz seines Artikels ist für die Dissonance zu begrüssen.

 

Nach mehrmaligem Durchlesen finde ich aber nirgends ein Statement gegen die Freie Improvisation, auch wenn gewisse Förderagenturen das vielleicht so lesen möchten und die betroffenen Improvisatoren den Text (allzu) persönlich nehmen. Dennoch hier auch ein paar Gedanken eines älteren Tiers, das von 1975 bis 1983 das angesprochene Fach in jährlichen Kursen in einer Grundkurslehrerausbildung unterrichtet hat und mit einer Gruppe von Jugendlichen an der Musikschule Basel (der Gruppe Archeopterix, aus der heute einige bestallte professionelle Musiker hervorgegangen sind) ausgeübt hat. Die Hauptgründe, dieses Fach ins Curriculum aufzunehmen,waren damals pädagogischer Natur. «Wie kann das Erlernen des operativen musikalischen Denkens selbstverständlich in jeden Musikunterricht integriert werden?», formulierte ich damals politisch die Finanzierung eines solchen Faches. Ich erörterte auch, warum für Studierende in der Ausbildung die Erfahrung in Freier Improvisation vorrangig ist zur Theoriebildung, dass diese erst einsetzen kann, wenn schon praktische Erfahrungen vorhanden sind. 

Nach dem bahnbrechenden Buch von Umberto Eco (Das Offene Kunstwerk, 1968) war es klar, dass diese Art des Musizierens in ein neues, befreiteres Weltbild unserer westlichen Gesellschaft Eingang finden müsste.
Es sind also nicht nur primär musikalische Gründe (Kommt die freie Improvisation aus dem Free Jazz oder aus der Avantgarde, aus John Cages Philosophie oder woher auch immer?), sondern insbesondere pädagogische, politische und psychologische, die damals massgebend waren für diese «freie» Art des Musizierens. 

 

Pädagogisch: Wie können mit technisch beschränkten Fähigkeiten akustische Phänomene produziert werden, die gemeinsam im Zusammenspiel mit anderen Menschen zu musikalischen Erfahrungen  führen? Durch das Wegnehmen des Druckes des Keine-Fehler-Machen-Dürfens wird die eigene Entscheidung gefördert.

 

Politisch/soziologisch: Was sind die Vorbedingungen, dass ich – auch wenn ich kein Instrument beherrsche – mit Klängen aktiv und nicht nur konsumierend dabei bin? (Dazu z.B. Cornelius Cardew’s Nature Study Notes, Improvisation Rites 1969 für sein Scratch Orchestra: Beispiel: «For any number of musicians playing melody instruments plus any number of non-musicians playing anything»). D.h. Improvisation wird zu einer Haltung, die für alle zugänglich ist. Durch den Verzicht auf eine überkommene Ästhetik wird der Kanon der bestehenden in Frage gestellt, resp. zum Dialog aufgefordert.

 

Psychologisch: Es wurde damals bald klar, dass wenn man «frei» improvisiert ohne jegliche Vorsichtsmassnahmen, dass insbesondere bei Amateuren die Grenze der Kontrolle soweit überschritten werden würde, dass die Gruppe in psychologisch nicht mehr kontrollierbare Gefilde ausscherte: Ich erinnere mich an eine Improvisation in einem Kirchenzentrum, als eine Teilnehmerin plötzlich wild mit einem Stuhl auf den Altar einschlug.

 

Damals war das alles relativ «neu» und «aufregend» (sei es, dass man als professioneller Komponist gerade aus einer Ausbildung kam, die exklusiv auf serieller Technik beruhte oder als Jugendlicher, der keine Tonleitern spielen wollte, sich chaotisch auf den Tasten bewegen durfte, oder als Erwachsener, der nie ein Instrument gelernt hatte, aber nun endlich bei einer Gruppe dabeisein konnte). Der UE-Verlag hatte in seiner Roten Reihe Pionierarbeit mit seinen Materialien geleistet, die Musik-Akademie Basel gab ab 1974 eine Reihe «Information und Versuche» heraus (deren wohl einschlägigste Publikation die Nr.XI Regeln zur Improvisation von Katrin Frei und Susi Würmli war, 1982), John Paynter und Peter Aston gingen in Sound and Silence, 1970, dem Phänomen grundlegend nach.

 

Wie ich es erlebte, war dieser erste Aufbruch dann zu Ende, als das Fach endlich in mehreren Hochschulen angeboten wurde und bei mir persönlich und subjektiv war es der Augenblick, als ich selbst aufhörte, das Fach zu unterrichten: Jedes Jahr war da eine neue Gruppe und immer nach einem Jahr, wenn endlich eine musikalische Weiterentwicklung hätte geschehen können, ging man auseinander. Viele haben aber musikalisch sich so weiter entwickelt, dass sie zu höchsten musikalischen Ausdrucksformen gelangten. Als ich 1987 bei der Begrüssung meines ersten Jahrganges von Studierenden als Leiter des Konservatoriums Luzern die ca 30 Neuen bat, einmal einfach draufloszuspielen, gab es einen ziemlichen Klamauk. Nur ein kleines Grüppchen fand das sinnvoll und konnte sich in diesem Tumult schon musikalisch bewegen. Fünfzehn Jahre später gab es kaum mehr jemand, der nicht willig und mit einigen Vorkenntnissen mitgemacht hätte.

 

Die Luzerner Tagungen für Freie Improvisation, die Walter Fähndrich, Peter K Frey und Christoph Baumann mit Hilfe des Konservatoriums Luzern Ende der achtzigerJahre ins Leben rief, war sozusagen eine erste theoretische Aufarbeitung dieser Entwicklung. Die Reihe «Improvisation» des Amadeus-Verlages mit den Berichten dieser Tagungen ging weit über die nur musikalischen Aspekte des Improvisierens hinaus. Sie entzogen sich dem Thema nicht, wie Meyer suggeriert, sondern sie sahen das Phänomen in einem sehr viel grösseren anthropologischen Rahmen. Als Beispiel kann der Beitrag des Linguisten François Grosjean dienen, der Parallelen zum  «Spielen» innerhalb des enzyklopädischen Wissens eines Sprechenden zog oder derjenige Edward Halls, der anthropologische Verhaltensweisen zwischen unterschiedlichen Kulturen beschrieb: Inwiefern waren das «freie Improvisationen» innerhalb der menschlichen Gesellschaft in Analogie zur musikalischen Improvisation?

 

Wir haben erlebt, dass eine Musizierart sich quasi als Gattung etabliert hat. So wie sich damals der Jazz in seinen frühen Jahren aufregend und neu (und zum Teil auch gesellschaftspolitisch motiviert) etablierte, aber eben auch ändern und entwickeln musste. Was Thomas Meyer meiner Meinung nach anspricht, ist diese Schwelle, die erreicht ist. Wenn man frei improvisieren will, wie wir das in den letzten  vierzig Jahren gemacht haben, müssen wir heute ins Raffinement – in die wirklich hohe Kunst – ausweichen (was einige durchaus können) oder wir müssen in neue Richtungen gehen. Ein gewisses «déjà-entendu» ist bei diesen Bemühungen durchaus erkennbar. Nicht beim Einzelnen, aber in der ästhetischen oder gegenästhetischen Haltung. Wohin das geht, ist ja gerade das Aufregende. Aber es gibt heute ganz neue Gebiete, z.B. an den Schnittstellen von virtueller und körperlicher Improvisation, die damals im Analogzeitalter der Elektronik noch nicht oder in anderer Art zugänglich waren. Und diese Möglichkeiten werden sich rückkoppeln auf unsere Spielweisen ohne Elektronik.

 

Aber eines ist ganz klar: Es gibt keinen Grund, die Freie Improvisation als eine Ausdruckform der zeitgenössischen Musik nicht zu unterstützen. Sie ist ganz einfach erwachsen geworden, aber deswegen kann sie sich noch lange nicht selber finanzieren.

 

Thüring Bräm

 

 

Jan Schlegel

Lieber Thomas Meyer,

 

Fragen aufwerfen und zum Widerspruch aufrufen - ja gerne.

 

Die Reaktionen belegen, dass die der Improvisation Geneigten durchaus kein arroganter Untergrundzirkel sind. Eine verdammt lebhafte und vielfältige Nische, die sich auch inhaltlich zu artikulieren weiss.

 

Du sprichst von Vermittlungsarbeit. Das wäre toll. Zum Beispiel MusikjournalistInnen, die mehr als eine kurze Bestenliste von sich geben oder gestrige Grabgesänge heraufbeschwören.
Eine kleine Nische die um jede Zeile kämpft und äusserst selten überhaupt noch Raum bekommt, um über Inhalte zu schreiben.
Besorgniserregend!
Ist es dann klug bei viel Schreibraum die Sparwütigen zu füttern?
Braucht es eine " Befreiung" wie "postfrei -improvisierte Musik"?
Wer braucht das?

 

Die Improvisierenden, verbliebenen und dazugekommenen VeranstalterInnen , Stiftungen und ZuhörerInnen sorgen glücklicherweise mehr denn je für eine lebendige, qualitativ hochstehende Szene. Trotz eines Umfelds, dass sich zunehmend anmasst Kunst und Kultur bloss nach marktwirtschaftlichen Kriterien zu beurteilen.
Die Freie Improvisation wird immer in einer Nische sein. Nicht , weil die MusikerInnen sich am wohlsten in einem aussterbenden Indianerstamm fühlen, sondern sie eine Art Kommunikation, Haltung pflegen, die würde sie auch in Politik und Wirtschaft einfliessen, es anders zu- und hergehen würde auf diesem Planet.

 

lieber gruss

jan schlegel

(7. Oktober 2010)

 

 

 

 

d'incise

C'est vous faire bien beaucoup d'honneur que tous ce remugle que votre article provoque. J'adjoindrai tout de même mon commentaire, ne serait-ce que pour souligner la solidarité et la force des liens qui unissent les improvisateurs, au sens très large, de ce bout de terre.

Dois-je dire que vous m'êtes parfaitement inconnue, comme la plupart de vos références, hormis celles de quelques musiciens, que je ne saurais qualifie de mort puisque les côtoient bien souvent et dont le travail me semble en constante évolution, et ouvert, et nourrit par le rencontre avec ceux de ma génération.

Il me semble bien audacieux, mais fortement journalistique de réduire un ensemble de pratique hétérogène sous une même appellation, comme si un outil ou un manière de faire pouvaient en soit définir inexorablement un résultat.

Nous ne somme p! as dogmatique, nous ne jouons pas une musique, mais toutes celles qui nous semble possible, jouissive, et portant en elle un esprit de liberté. il n'est besoin de dire à quel point cette notion est en souffrance dans notre société contemporaine. L'improvisation libre véhicule un esprit libertaire et non-hiérarchique. le non intérêt du public en tant que que masse sociale soumise à l'ordre générale de la société n'est évidement pas surprenant, tout comme la position du pouvoir étatique à l'égard de ces musique.
Un jour nous en jouons une, un jour une autre, nous inventons, nos lieux de concerts, caves, salons de thé, cinémas, théâtres, libraires, galeries, espaces privés, nos instruments, empruntant l'un à l'autre ses techniques, lui rajoutant des extensions, leurs confiant de nouveaux rôle! s, nos configurations, du solo à l'orchestre, des jeux, des exercices, des mises en danger, de la réduction ou de la dilatation.

 

La liberté et l'improvisation forme une attitude qu'adopte les membres d'un groupe, ce n'est donc pas un style ou une manière de sonner, mais à un état sociale primordiale à une création communes. La musique qui en ressort est une autre affaire, et je n'ai pas l'impression que le présent soit en manque d'innovations.

 

Pour parler d'ordinateur, puisque il s'agit de mon instrument premier, il ne présuppose en aucun cas un pré-enregistrement ou quoi que ce soit de pré-établit, pas plus que ne le ferait la tension d'une corde sur un instrument. Il brise les repères sonores culturels, il est à la fois immatériel et un potentiel de concrétisation sans fin. L'ordinateur a forcé les musiciens à jouer différemment, tous comme eux forcent sans cesse la remi! se en question de la pratique informatique.

 

Et enfin, parler de musique Suisse, quelle quelle soit, comme si nos trois carrés de choux et cinq vaches pouvaient s'autosuffir ? Une vision bien conservatrice que je laisse à ceux de l'autre bord. Nous faisons partie d'une scène sans limite, voyageuses, communicative, expansive, partageuse, altruiste, nous somme camarades de pensée et de pratique. Si les montagne renvoient le son du cor, elle ne sont qu'abstraites pour nous, nous dérivons bien au dessus. Notre oreille est le monde, et la mort, je vous la laisse, saluez-la de ma part, merci.

 

d'incise

(7. Oktober 2010)

 

 

 

 

Dragos Tara: Impressions post mortem

Ces quelques lignes viennent apporter une note plus personnelle aux articles plus fournis publiés ici et là auxquels j'ai pu m'associer. J'y renvoie aussi pour les éternelles polémiques que le terme musique improvisée peut soulever.

 

Quelle que soit la frustration à lire cet article, plus ignorant que méchant à vrai dire, mais néanmoins nocif,je me dis que le problème n'est pas tant ce monsieur Meyer mais plutôt certaine façon de penser la vie musicale suisse. C'est donc dans ce sens (la vie musicale suisse dans un sens plus large) que j'aimerais ajouter quelques mots au flot déjà déclenché maladroitement par l'article de Dissonance.

Torpeur au pays sans fièvre

Ce qui frappe tout d'abord et qui a maintenant maintes fois été relevé c'est que les jeunes générations sont absentes de toute réflexion dans cet article. L'immobilisme qui se dessine alors témoigne de la phénoménale inertie d'un pays timide, gêné, qui a besoin de d'avancer en sécurité. Il va de soi que d'accorder de l'attention à des jeunes artistes suisses avant que ne l'ait fait Paris ou Berlin signifierait un saut dans le vide de la presse spécialisée suisse.

 

Il faut tout d'abord se demander qui serait capable de juger des pratiques contemporaines dans les structures de relais : presse écrite, radiophonique, télévisée (on ose à peine citer ce média qui vit carrément dans un autre pays). La Suisse fait frémir en comparaison de ses voisins français et allemands quant il s'agit de dépasser les références classiques et académiques. Quelques îlots ici et là pour raconter les pratiques en train de s'inventer., mais la presse spécialisée est sporadique et souvent académique. Partout ailleurs, dans les maigres encarts culturels des quotidiens, l'autocensure est de rigueur, le public doit être rassuré.

 

Les musiques et pratiques artistiques les plus récentes, souvent inclassables, et dans lesquelles la musique improvisée s'intègre, de même que de nouvelles approches de la composition, mais aussi du sound art, de la performance, etc… constituent le défi que toute culture vivante jette aux classifications muséifiantes. Mais il est rare de voir ce défi relever dans nos contrées.

 

Si ce pays paraît petit, il faut bien dire que c'est surtout en matière d'ambition artistique, culturelle. S'il en va tout autrement pour la finance, l'industrie pharmaceutique ou la vente d'armes (je ne m'égarerai pas plus loin), les acteurs culturels sont confronté au rempart d'une presse érigée gardiens d'un contrat social figé avec un peuple supposé inapte aux innovations.

 

La structure fédérale de la Suisse vient encore ajouter à ce sentiment de vivre à l'étroit, dans un pays qui voit souvent s'exporter ses artistes. Il est d'ailleurs piquant de noter l'écho hors frontière dont bénéficient la plupart des artistes suisses ignorés par l'article, leurs innombrables connexions européennes (et parfois au-delà), au vu de ce manque de reconnaissance en Suisse.

La culture suisse et sa grande absente: la Suisse

La particularité la plus évidente de la Suisse est probablement en effet ce système fédéral. Il signifie tout d'abord l'absence de véritable ligne commune.
Quelle est la politique fédérale en matière de culture ?

 

Comme je le disais plus haut, ce billet d'humeur ne vise pas spécifiquement Thomas Meyer, mais il faut bien dire qu'il est significatif que quelqu'un qui pense comme lui soit affilié à Pro Helvetia.

 

En dépit d'une ligne claire commune ou d'un effort commun de rééquilibrer les régions, le fédéralisme se borne à renvoyer la responsabilité aux cantons et aux communes. Il n'est plus la peine de rappeler les difficultés auxquelles sont confrontés les projets trans-cantonaux ne parvenant pas à remplir les critères changeants et flous de Pro Helvetia.

 

C'est bien l'identité de ce pays en tant que tout qui pose problème, A défaut d'une initiative commune, les régions minoritaires, (francophones par exemple pour ne citer que ce que je connais le mieux), paye souvent le prix de l'absence de reconnaissance (pour ne pas dire plus) de leur travail par une Suisse plus institutionnelle.

Des réseaux oui, mais des voix ?

Je ne voudrais pas que ces lignes fassent croire que je pense que la vie culturelle ne dépend que des structures politiques et économiques. C'est simplement que cet article est l'occasion de mettre en relief le manque de relais et de reconnaissance auxquels sont confrontés les acteurs culturels ici.

 

Les artistes cités dans l'article de Dissonance en savent quelque chose, pour s'être battus pendant des décennies avant de se voir octroyer de la reconnaissance.

 

Les pratiques artistiques sont parties du tissu social et interrogent l'ancrage des artistes. dans le monde qui les entoure. Et de ce côté ce sens les artistes suisses sont souvent tragiquement…suisses.

 

Je désigne par là cette peur de monter au créneau, de faire du bruit après 22h, de la polémique, de revendiquer son statut, voire de revendiquer tout court.

 

Il est vrai que la période que nous vivons est peu propice aux manifestes et dogmes. Je ne m'en inquiète pas vraiment et me sens tout à fait en phase avec cette structure en étoile de mer, des nombreux réseaux qui composent ce pays ainsi que toute la scène européenne. Nul besoin de réunir tout le monde sous une seule bannière.

 

Ce qui m'inquiète davantage c'est qu'en Suisse il est très rare de voir les musiciens dirent ce qu'ils disent ces jours ci, ainsi que d'être prêts à mettre sur papier leur idées, de se regrouper pour rappeler que, par exemple, la musique improvisée suisse (et ses ramifications vers d'autres musiques, disciplines et pays) est intéressante, stimulante et importante pour la vie en Suisse. Si je tiens à y prendre part, c'est que je pense qu'elle constitue la frange la plus vivifiante de la pratique musicale de ce pays.

 

Pas de conclusion, mais pour l'avenir: Merci Monsieur Meyer !

 

Comme je viens de le dire les initiatives et prises de paroles de ces derniers jours sont rares et il faut donc user d'un des rares tremplins qui nous sont offerts pour être entendus.

 

Dragos Tara

(7. Oktober 2010)

 

 

 

 

Eric Gaudibert

Cher Thomas Meyer,

 

Votre papier sur l’improvisation fait du bruit et, comme vous souhaitez, provoque la contradiction.

 

Votre texte ne met pas en doute l’existence de l’improvisation en elle-même : il définit de manière très complète tous les aspects, ainsi que l’histoire de la pratique de l’improvisation. Cependant le fait d’annoncer la fin de l’improvisation libre, en Suisse, c’est se donner un peu légèrement la posture du juge ou …du prophète (?).

 

Les réactions multiples générées par votre texte montrent que le sujet est sensible. Tant mieux si cela suscite débat et réflexion, mais je crois que les improvisateurs et les musiciens (en général) n’ont jamais cessé de « penser » leur art. Ce qu’ils désirent aujourd’hui plus que jamais, c’est exister pleinement sur les scènes d’ici et d’ailleurs.

 

Bien à vous

Eric Gaudibert

(7. Oktober 2010)

 

 

 

 

Béatrice Graf

Cher Monsieur Meyer,

 

La musique improvisée ne s'improvise pas, ça on le sait.

Si le concert à la wim était exceptionnel c'est parce tous sont des musiciens exceptionnels.

La Suisse ne se limite heureusement pas à ce bel endroit.

Partout - il suffit de sortir de sa ville et sa génération- vous trouverez des improvisateurs de qualité, de tout âge et de tous horizons musicaux...

 

Quand les stars mondiales du théâtre (le Collectif belge TG Stan ) ou de la danse (le chorégraphe belge Alain Plattel) parlent de l'improvisation comme de leur mode de travail actuel et du rapport privilégié qu'il entretiennent avec la musique improvisée , il serait temps de rendre à César ce qui lui appartient.

 

Non l'improvisation n'est pas morte: c'est même tout le contraire.

L'improvisation est le symbole même d'une activité artistique en mouvement et en vie.

 

Béatrice Graf artiste-musicienne

/7. Oktober 2010)

 

 

 

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Frank Heierli

eine Musik nach der Musik

eine präzise Abtastung und Wahrnehmung des vorhandenen Raums zu unser aller Orientierung (siehe auch CERN)

diejenigen erkennen und anerkennen und unterstützen, welche sich aufmachen, das Neue zu entdecken ohne es je zu finden (siehe auch CERN)

die freie Tat und die freie Musik ((in unseren Köpfen sowieso)) als Haltung zum kapitalen Lebensstil des Produkts

eine absichtslose, am Nullpunkt spielende Musik, illusionslos, direkt und ohne Namen

die nicht benutzte Musik-, der nicht instrumentalisierte Klang, der nicht verwendete Mensch
das nicht Gemachte, le non Faire, le NonFer

die gehörte, nicht gespielte Musik der Kinder (Bauarbeiter)

akzeptieren, dass die eigene Kunst sich selbst von ihrem Standpunkt entfernt in Nächstes

das entstandene Nichts, die Stille

den anfallenden Rest bemerken, ihn zum Protagonisten machen

das Veränderbare, das Provisorium, das Verschwinden, die gestellte Frage als Antrieb hochhalten
und abkratzen können auf der bezahlten Bühne

und somit die Musik den Raum des Statements betreten lassen (ggt. AblenkungUnterhaltungVerführung)

 

Frank Heierli

(Bern, 8. Oktober 2010)

 

 

 

 

Colette Grand

Monsieur Meyer,

 

vous vous poser en fossoyeur de la musique improvisée, ceci est grave et triste pour tous les musiciens qui la pratiquent, à commencer par ceux que vous nommez dans votre article pernicieux.

La musique est vie, comme l'eau, rien ne peut l'arrêter.

La musique est jeu, l'improvisation en est son expression la plus ludique.

La musique est «bruit qui pense» (Victor Hugo); composée spontanément ou fidèlement interprétée, elle est dialogue entre celui qui la fait et celui qui l'écoute.

Et personne, pas même vous Monsieur Meyer, ne peut briser cet échange en décidant de la fin de telle ou telle musique

 

Colette Grand, musicienne aléatoire

(9. Oktober 2010)

 

 

 

 

John Wolf Brennan: Die Schweiz als blühende Klanglandschaft. Nachruf auf einen leicht verfrühten Nekrolog

[Preambulum]
Die neue dissonance tritt auf mit dem Anspruch, international zu sein (wie ihr anglisierter Name), in zeitgemässer Form und will dabei weiterhin ihrem Credo treu bleiben: sich der kritischen Begleitung des Musikschaffens zu verschreiben, statt auf die Quote zu schielen. Man will sich Unabhängigkeit leisten und der Leserschaft etwas zutrauen. Statt verkaufen will man informieren, statt anpreisen hinterfragen, findet «DRS2aktuell»-Redaktorin Corinne Holtz. So weit, so gut: soi-disant,
soi-dissonant.

 

[Intro]
Die neuste Nummer der dissonance mit der ominösen, sauber rausgestanzten Nummer one-eleven hat mich ganz besonders gefreut: endlich wieder mal ein paar provokative Statements! Erst dürfen wir uns über Fred Frith als Improvisationslehrer (S.10), den heimlichen Anarchisten Alfred Zimmerlin (S.18) und die Kritik des neuen Triangulation-Albums "Whirligigs“ freuen (S. 80), dann erfahren wir auf Seite 4, dass die Improvisation hierzulande eigentlich schon lange tot ist. Vielleicht sind wir im falschen Film gelandet, alles (ist) ein fataler Irrtum, und wir haben gar nie gelebt? Ein Fall für Jack Sparrow und seine nekrophile Piraten-Crew?

 

[Vamp 1]
Der katalanische Filmemacher Luis Bunuel hat am Ende seiner Autobiographie „Mon dernier soupir“ den bescheidenen Wunsch geäussert, einmal pro Jahr sein Grab verlassen zu dürfen, zum nächsten Kiosk zu laufen, dort in den Zeitungen nachzulesen, was die Menschheit wieder für widerliche Dinge verbrochen hat, um dann dankbar wieder in die Gruft steigen zu können. Am Kiosk gabs diesmal auch unser Branchenblatt zu kaufen. Ran an die Lektüre, in masochistischen Ritualen und hartnäckiger Groove-Spurensuche sind wir ja extemporal und asynchron geübt.

 

[Thema]
Der Autor Thomas Meyer – der gleichzeitig als Pro Helvetia-Stiftungsrat über die Geschicke improvisierender MusikerInnen mitbefindet – belehrt uns also über seine Sicht der Schweizer Impro-Szene, und wohin er auch blickt, stellt er Zerfall, Dekadenz, zappaesken Modergeruch und Endzeitstimmung fest. Eine Zukunft für den moribunden Patienten ist übrigens im Untertitel "Zur Vergangenheit und Gegenwart einer flüchtigen Kunstform“ schon gar nicht mehr vorgesehen. Das Grab ist geschaufelt, bevor der Text beginnt.

 

[Retrograde]
Abgesehen davon, dass ein grosser Teil des Artikels sich so rückwärts gewandt liest wie wenn die letzten 30 Jahre nie passiert wären, seinem anachronistischen Horizont, dem nostalgischen Kulturpessimismus und der schmalspurigen Perspektive, gibt es einige fundamentale Missverständnisse, der wir Bunuel-Zombies doch noch etwas entgegnen möchten, bevor wir wieder ins Grab zurückkehren.

 

[Solo 1]
"Diese frei improvisierte Musik....wirkt an diesem 22.Juni fast etabliert. Das war sie früher mitnichten..." (über ein Konzert in der WIM Zürich). Denk-würdig war nicht nur dieser Anlass, sondern auch der Versuch des Autors, hier eine Zeitenwende zu postulieren, als ob früher ein "un-etabliertes Improvisieren“ geblüht hätte, während er heute das Establishment am Werk wähnt. Tatsache ist, dass es immer um Leben und Tod geht auf der Bühne, gleichgültig ob wir nach Noten, mit oder ohne Konzepte spielen, und etabliert hat sich in den letzten Jahrzehnten höchstens die Halbwertszeit bzw. die Haltbarkeit von Mitschnitten, nie die Musik selbst. Das interaktive Klanggeschehen an sich, ob improvisiert, komponiert oder komprovisiert, ist wie alles Klingende ein flüchtiges Gas, das sich jeglicher Verdinglichung entzieht.

 

[Riff 2]
"Die freie Improvisation ist eine Musik, die gleichsam überzeitlich ist, die ihr sofortiges Verfallsdatum zur kompositorischen Grundhaltung macht."
In der Tat ist die Zeit eine zentrale Dimension der der Musik – jeglicher Musik, auch der (nie zeit-)frei improvisierten. Aber über-zeitlich? An dieser Riff-Falle sind schon viel grössere Fregatten zerschellt... so verführerisch
Fluchtlinien mit transzendentem Vektor sein mögen, werden wir Irdischen doch zuverlässig von der Gravitationskraft des Endlichen eingeholt, und ein Stein bleibt auf dem anderen. Auch das “sofortige“ Verfallsdatum gehorcht im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit (und erst recht im globalen Download-Supermarkt) ganz anderen Gesetzen – wer könnte hier ein Verfallsdatum von aktueller Musik verlässlich prognostizieren wollen? Frei ist die improvisierte Musik genau insofern, als dies offen bleibt.

 

[Kollektivimpro 3]
Hätte beispielsweise Produzent Teo Macero aus den 12 Minuten Mehrspur-Aufnahmen von Miles Davis nicht ein ganzes Album herauskristallisiert, wäre "In a Silent Way" (1969) nie entstanden. Und hätte Tontechniker Andreas Brüll nicht geistesgegenwärtig den Aufnahmeknopf gedrückt, um Bruno Amstads vokalen Vokalausbruch einzufangen, hätte "Bizarre Bazaar“, das Titelstück auf “Whirligigs“ (2010), nie das Licht der digitalen Welt erblickt. Überzeitlich war das nicht, dafür ein skrupulöser Ausleseprozess, aus dem Christy Doran und ich dann zwei Wochen später aus dreieinhalb fünfviertel Stunden Musik herausdestillierten, die garantiert ohne Absprache, dafür mit einer garantiert ungarantierten Verfallszeit entstand.

 

[Solo 3]
“Es zeigt sich hier, dass die Entwicklung des Materials noch keineswegs an ein Ende gelangt ist.“

 

[Impulse 4]
Ja, wasdennsonst, bei allen hunderttausend heulenden Höllenhunden? Warum sollte “dem Material“ eine andere Halbwertszeit innewohnen als uns Sterblichen? Genauso wenig, wie wir nicht zweimal in den gleichen Fluss steigen können, bleibt das Material stehen, es entwickelt sich fortlaufend weiter, mit und ohne unser Zutun. Zu Musik wird das Material erst dann, wenn es wahrgenommen wird, und zwar, wie Wolfgang Rihm ausführte, von aufmerksam zugeneigten Hörern, sonst stirbt nämlich jeder Ton, kaum hat er das Instrument verlassen, vor den Augen des Publikums den Heldentod. Wir sind superprovisorische Untermieter, transitorische Verwender, Umsetzer, im besten Falle Erforscher, oft genug Wellenreiter und nicht selten Sturmopfer des Materials, das wir durch unsere Hände gleiten lassen, ohne es je festhalten oder gar verstehen zu können, und nie Besitzer. In raren Momenten schlägt der Blitz ein, und ein paar Kohlenstoffatome erscheinen in einem neuen molekularen Kontext.

 

[Vamp 2]
So what?

 

[Solo 4]
"Wer sich in diesem Gebiet theoretisch auslässt, muss den Ruf des Dogmatikers meiden lernen."

 

[Revamp 3]
Eine solch offene Haltung würde der Musikkritik ganz generell gut anstehen. Bei der freien Improvisation sollte sie ein konstitutives Element sein. André Thomkins hat dies in seinem hintersinnigen Palindrom auf den Punkt gebracht: “Dogma – I am God“

 

[Riff 5]
“Es gibt MusikerInnen, die sich immer noch weigern bzw. zieren, über ihre Musik zu sprechen“

 

[Impulse 6]
Aus diesem Schweigen eine allgemeine Lähmung herauszulesen, geht an der Sache vorbei - schliesslich gibt es auch stumme Architekten und Skulpteure, Chirurgen und Brückenbauer, ohne dass deshalb jemand gleich die Totenglocken läuten hört. Umso wichtiger sind die Stimmen, die sich aus der schweigenden Mehrheit erheben, und die gleiche dissonance-Nummer bringt ja – Frithseidank – gleich auf den nächsten Saiten ein eloquent leuchtendes Beispiel.

 

[Solo 7]
“Ein Nachdenken über Improvisation hat dennoch eingesetzt..." (es folgen einige zutode zitierten Beispiele der immergleichen Gewährsmänner)

 

[Kollektivimpro 5]
Immerhin traut uns dieses Diktum die Fähigkeit zum Denken zu, einer Tätigkeit, die doch sonst nur universitär betrieben werden kann, komplett mit Zwischenzeugnis und bolognakompatiblem Masterabschluss.
Das Grundproblem der akademischen Kreise ist, dass sie sich am liebsten selber spiegeln, und so fördern die internen Arbeitsgruppen oft nichts als Zirkelschlüsse und self-fulfilling prophecies auf inzüchtigem Hochglanzpapier. Warum wird der Geist der “gesellschaftlichen Relevanz“ immer automatisch an Hochschulen, Tagungen und Symposien vermutet? Wären grassroot-Initiativen wie die WIM, der Cave12, die Spirale, das Improvisorium, der Mullbau abhängig von diesem selbstreferenziellen Überbau, würden sie heute noch über Statuten, Stellenwert und gut dotierte Stabsstellen sinnieren, statt freiwillig freiwilde Freiräume zu öffnen.

 

[Solo 8]
“Was aber passiert, wenn das Wort in die Musik eindringt...?“

 

[Revamp 4]
Wieder so eine (unbeabsichtigt erotische?) Stelle, die bei den meisten aktuell agierenden MusikerInnen wohl nur Kopfschütteln hervorrufen wird. Spätestens seit Cathy Berberian, eher schon seit den Höhlengesängen unserer Urahnen wissen wir, dass die Stimme auch ein Instrument sein kann, während der Instrumentalist ein Leben lang darum ringt, eine STIMME zu werden. Hätte Thomas Meyer das pago libre-Programm «platzDADA!» mit der andernorts proklamierten Dogmafreiheit auf sich wirken lassen, hätte er den Unterschied zwischen “Begegnung“ und “Verschmelzung“ anders wahrnehmen können. Grenzgänge “auf dem Weg zum Nonsense“ sind beileibe keine Exklusivdomäne des Wortes. Und im übrigen hat eine überaus aktive Slam Poetry-Szene seit Jahren bewiesen, dass sehr wohl mit Worten improvisiert werden kann.

 

[Reprise 4]
“Die freie Improvisation hat ihr Metier bewältigt, den Aufbruch in unbekannte Gefilde hat sie hinter sich, das Wagnis ist, wenn es auch nicht verschwunden ist, so doch kalkulierbar geworden.“
Mit Verlaub, das ist verschwurbelter Nonsense, wie ihn die Dadaisten nie sinnfreier hingekriegt hätten. Weder kann dieses Metier je "bewältigt“ werden (es walten ganz andere, intersubjektive und Gewalten), noch kann ein Aufbruch in unbekannte Gefilde je hinter sich gebracht werden (dann wären sie nie wirklich un-bekannt gewesen), noch ist ein Wagnis je mess- oder gar kalkulierbar. Jede Kalkulation beruht auf festen Grössen. Der Fluch und Segen der freien Improvisation besteht eben gerade darin, dass jede Grösse variabel und jede Variable jederzeit entschwinden kann, um an einer anderen, unerwarteten Stelle wieder aufzutauchen. Das Wagnis kann nicht verschwinden, weil es gleichzeitig nie und schon immer da war. Um einen konZENtrischen Vergleich zu bemühen: nur der haarscharf daneben gezielte Pfeil trifft ins Schwarze. Das Wagnis gleicht eher einem Waag-nis, einem prekären Un/Gleichgewicht, einem equilibrio precario. Und wie wir spätestens seit der Finanzkrise wissen, sind Prognosen schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen.

 

[Solo 8]
“Ich glaube freilich, dass ihre Geschichte mittlerweile zumindest in der Schweiz an einen Endpunkt gelangt ist."

 

[Reprise 9]
Die gesicherten Erkenntnisse von heute sind die grossen Irrtümer von morgen, dass musste schon Francis Fukuyama lernen, als er 1992 nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Zusammenbruch der Sowjetunion das “Ende der Geschichte“ ankündigte.

 

[Kontrapunkt]
Anderseits haben wir transitorischen Improvisatoren keinen zureichenden Grund, uns selber heiligzusprechen. Engstirnigkeit, Gartehäglidenken, Scheuklappen, Betriebsblindheit, Intoleranz und Futterneid kommen bei uns ebenso vor wie bei anderen Berufsgattungen, bei Managern so gut wie bei den Bauern. Und dada wir eher kulturell als agrikulturell tätig sind, haben wir keinen Anspruch auf Subventionen, schon gar keinen automatischen. Eine anständig-randständige Hangzulage pro Klein- (Solo) und Grossvieheinheit (Ensembles) täte zwar not und wäre schön für unser Heidiland – schliesslich sind wir Klanglandschaftsgärtner der etwas anderen, unbezahlten, vielleicht auch unbezahlbaren Art und gehören womöglich schon bald zum Unesco-Weltkulturerbe.

 

[Reprise 3]
Aber Ansprüche daraus abzuleiten, dass wir tun, was wir nicht lassen können, das ist uns – im Gegensatz zu unseren bäuerlichen Kollegen – gründlich ausgetrieben worden. Eine soziale Notwendigkeit besteht schlicht nicht. Oder ist die departementale Aufgabenverteilung gar so gedacht, dass sich die Bauern um den Humus kümmern und wir uns um den Posthumus?

 

[Bridge]
Dank der dissonance sind wir im Hades doch immerhin um einen dampfend dissonierenden Misthaufen reicher geworden. Schon bei Dante hats in der Hölle wesentlich mehr drive, power und action als im seligen Paradies, und Goethes Doktor Faust ist ein himmlischer Langeweiler im Vergleich zum bissig blitzgescheiten, aberwitzig fegefeurigen Mephisto.

 

[Outro]
Wir sind weder als Notvorrat noch im Schulkanon vorgesehen. Zum Existenzminimum einer Kulturgesellschaft gehören wir aber trotzdem, gerade weil wir keine Luxusgüter herstellen, sondern geistige Grundlagenforschung, und daraus gedeihend ab und zu auch ein paar vitale Grundnahrungsmittel, ebenso reich gespickt mit sogenannten Disso- wie mit Kon-Sonanzen. Die Schweiz als blühende Klanglandschaft – ein Nekrolog? Eher eine quicklebendige Utopie im Hier und Jetzt, gleichzeitig nowhere und gerade deswegen now and here.

 

John Wolf Brennan, Komprovisator

(11. Oktober 2010)

 

 

 

Michel Wintsch

Pour moi, dans cette histoire, il ne s'agit pas seulement de musique improvisée. Ce qui dérange de nos jours, je crois, c'est l'inqualifiable, le non mesurable, l'innetiquetable, le subjectif, le débridé, le non-rentable.

 

Il y a des gens, là-bas, qui passent la plupart de leur temps dans des bureaux, à compulser des dossiers, avec un salaire bien confortable - sans même prendre la peine réellement d'étudier leur matière ( il suffit de lire l'article de M. Meyer pour s'en convaincre ) - qui sont sensé travailler pour la culture. Servir la culture. Moi, j'aime ce mot culture.  Et si quelqu'un, que se soit un individu ou une institution décide de s'occuper de culture, il ferait bien de se faire jardinier. Avec l'humilité et la patience que cela suppose. Qu'il arrose le jardin, qu'il prenne soin qu'il soit diversifié, qu'il y aie du terreau, des cycles, des jachères, de la cendre, de la pourriture même - sur laquelle d'ailleurs le plus souvent poussent les jolies roses. Une culture vivace, riche suppose une diversité, des coins d'ombre et de lumière.

 

Aujourd'hui, on veut de l'efficace, du rentable, de l'exportable, de l'identitaire ! ( Je ne crois pas qu'on décide de son identité, je pense qu'on ne peut que l'observer, l'assumer, et éventuellement… la cultiver. )  Voyez là-dehors, allez marcher dans les montagnes avoisinantes, vous verrez ces zones de forêts, plantées de sapins de norvège, qui poussent vite, bien droit, et qui font de jolies planches ( juste assez solide pour un cercueil bon marché ) et qui, il est vrai, rapporte gros au cultivateur - à cours terme. Allez-y donc, et vous verrez que plus rien ne pousse dans ces sous-bois, plus de fougères, plus de mousse, plus d'animaux … des troncs bien droit avec leur tête bien dressée qui cherchent la lumière la-haut. J'ai le sentiment qu'on en est là. On arrose ce qui rapporte, ce qui brille, avec tout les risques de la mono-culture: que la terre s'affaiblisse et meurt, à coup tuteur, à force de vouloir contrôler, de vouloir le succès et l'argent, et vite.

 

La musique improvisée (ce n'est pas la seule) représente sans doute une de ces zones incontrôlables, une zone de relief, de contradictions, de lenteur comme de fulgurances, d'errance parfois, mais une zone indispensable au terreau, à l'ensemble du jardin. Mais cela effraie fort nos bureaucrates, et je crains que l'ignorance en matière de jardinage élémentaire -  j'ose espérer qu'il ne s'agit pas d'un obscurantisme délibéré - de nos chères instances politico-culturelles et des journalistes à leur solde,  ne nous envoient tous droit dans le mur.

 

Michel Wintsch

(18 octobre 2010)

 

 

 

KARL ein KARL

Lieber Thomas

 

Wir bedanken uns bei Dir sehr für den wichtigen Anstoss zu einer Diskussion, den Du mit Deinem Artikel Ist die freie Improvisation am Ende? gegeben hast. Sie findet lebhaft statt, leider unter einem etwas kurzsichtigen Titel und leider teilweise mit unnötiger Aggressivität.

 

Du hast also erfreulich viele Reaktionen ausgelöst, einige etwas unausgereifte oder zu kurz greifende Gedanken von Dir sind bereits differenziert abgehandelt worden. Wir verweisen gerne auf den sachlichen, ausführlichen Beitrag von Miriam Sturzenegger (s. www.dissonance.ch). Es freut uns auch, dass vor allem die junge Generation sich vehement gemeldet hat – zu recht. Was bedarf es mehr, um zu zeigen, wie lebendig und relevant diese Musik und diese Szene sind?

 

Wir möchten nun nicht auf Einzelheiten Deines Artikels eingehen, sondern würden es vorziehen, einmal mit Dir persönlich bei einem Glas Wein darüber zu diskutieren, welche nostalgischen Impulse Dich zu diesem Artikel bewegt haben. Eine Nostalgie, von der Dein Artikel zwar getragen ist, deren Ursprung jedoch nicht artikuliert wird.

 

Wir finden es interessant, dass Du einen «Anfang» als Aufhänger zum Einläuten einer Endzeit wählst. Für uns Beteiligte war das Konzert des Septetts in der WIM Zürich am 22. Juni 2010 eine Untersuchung, ob in dieser spezifischen Septettformation frei improvisierend musikalische Fragen auf den Punkt gebracht werden können. Mit zweifelsohne erfreulichem Ergebnis. Aber eben, ein Anfang: Nun wird ein Arbeitsprozess in Gang gesetzt, während dessen wir viel Zeit dafür aufwenden werden, die Tonsprache des Septetts zu vertiefen. Kein Ende: Wie auch Joseph Haydn nach der perfekten Sinfonie Nr. 99 die noch bessere Sinfonie Nr. 100, dann die weitere Tiefen auslotende Sinfonie Nr. 101 komponiert hat.

 

Das Endzeitliche, das Du zu erspüren meinst: Liegt es nicht eher im Ende einer alten Zeit, der Du etwas nachtrauerst, als frei improvisierte Musik vermeintlich aus einer «Gegengesellschaft» heraus sich entwickelte? Was auch damals nicht so war. Die Entwicklung des Free Jazz, der frei improvisierten Musik wurde immer durch rein musikalische Entscheidungen in Bewegung gehalten, die allerdings dann gesellschaftliche Folgen hatten: Wer eine verbindliche, gesellschaftlich anerkannte «Grammatik» verliess, geriet in den sogenannten «Untergrund».

 

Heute jedoch ist die Situation völlig anders als in den Sechzigern, Siebzigern und Achtzigern. Es gibt in diesem Sinne keine «Gegengesellschaft» mehr. Die 1968er Generation hat einen Demokratisierungsprozess ausgelöst, der Folgen hatte: Mauern, die Widerstände boten und an denen wir uns rieben, wurden eingeebnet. Nun darf jeder und jede alles (mit allen positiven und negativen Konnotationen). Musikalisch bedeutet das «anything goes», dass jeder und jede für sich ästhetisch klar Stellung beziehen muss, um nicht im Unverbindlichen zu landen. Ein Problem, das sowohl komponierende als auch frei improvisierende Musikerinnen und Musiker kennen, denn es ist das grundlegende Thema der späten Postmoderne.

 

Wir jedenfalls sind froh, dass wir uns heute ganz auf die Musik konzentrieren können, ohne ideologischen Ballast und ohne Revolutionäre sein zu müssen.

 

Herzliche Grüsse

KARL ein KARL:
Peter K Frey
Michel Seigner
Alfred Zimmerlin

(19. Oktober 2010)

 

 

 

Vincent Daoud

Bonjour Monsieur Meyer,

 

une remarque tardive vient compléter ce joli tableau. Elle souhaite ponctuer ce qui a déjà été dit ici, et peut-être ajouter certaines choses. Comme l'a relevé M. Demierre, votre « double casquette » (de journaliste et membre de la fondation Pro Helvetia) laisse penser à un possible conflit d'intérêt.

 

Je pense tout d'abord que cette situation vous décrédibilise et prive votre article de légitimité et de pertinence en tant que journaliste. Vous ne vous parez pas du minimum de vigilance nécessaire à la rédaction d'un article à prétention sociologique et musicologique. Ainsi le sens commun et les prénotions vous privent de l'absence de cécité nécessaire à la variation des focales d'analyse et des points de vue. Cela fait de votre article un papier uniquement à charge, donc caduc sur le plan journalistique. De plus, comme vous le dites, « aujourd'hui je ne peux également rendre une vision d'ensemble mais seulement partir de quelques exemples.» Mais alors la conclusion de votre article dépasse de loin vos prétentions initiales !

 

Il serait par ailleurs naïf de penser que les membres de la fondation dont vous êtes membre, Pro Helvetia, n'aient pas lu votre article paru dans dissonance, et de penser qu'il ne s'en servent pas comme outil idéologique pour leur politique d'aide aux musiciens suisses.

 

Votre présence sur la scène musicale suisse, aussi importante soit-elle, ne doit pas faire oublier que votre pouvoir (si tant est que vous ayez la chance de trouver des personnes prêtes à vous obéir) n'existe que dans la mesure où nous acceptons les règles du jeu issues du champ auquel vous appartenez, celui de la raison pratique et du capitalisme. Or nous, les musiciens, n'appartenons pas à cette logique: l'utopie musicale n'a pas de prix! Elle ne se vend pas sur un marché au plus offrant. Les cachets que nous recevons, de Pro Helvetia ou d'une autre fondation, ne sont que les moyens nous permettant de renouveler notre aptitude à la créativité, et pas de nous enrichir. Ainsi, en écrivant cet article, il se peut que vous vous excluiez-vous même du champ de la musique suisse! Car si les musiciens improvisateurs suisses disparaissaient, vous disparaîtriez avec eux! Donc souhaitons pour nous et pour vous que vous vous trompiez !

 

Plus généralement, l'idée d'une fin de l'histoire (en l'occurence celle des improvisateurs suisses) relève d'une vision essentialisante. Il y aurait donc selon cette thèse une évolution de l'histoire, qui a eu un début, et qui débouchera sur une période stable sans évolutions majeures. Il y aurait un sens à l'histoire, puis une fin. Or je pense, comme Norbert Elias, que « l'histoire de l'humanité est née de multiples projets, mais elle est née sans finalité. » Les témoignages de musiciens suisses sur ce forum, plus tous ceux qui n'ont pas écrit ici, sont autant d'exemples qui, s'il en était besoin, montrent la vivacité de cette musique en Suisse et qui participent à ce que les observateurs appelleront l'histoire de la musique improvisée en Suisse. Un conseil, donc, Monsieur Meyer: Sortez de chez vous, allez au concert

 

Je tiens néanmoins à modérer mes propos, car si votre point de vue est pour le moins partiel, Monsieur Meyer, le conflit qui se joue sur ce forum illustre à mon avis une des particularités de la Suisse, c'est son caractère fédéral. S'il permet de légitimer l'action des gouvernants par une forte aptitude à l'intégration des conflits dans un environnement pacifié, il concourt aussi à la fragmentation et à une certaine lenteur dans la transmission des revendications de tout poil. En réalité, le fédéralisme, en masquant les conflits, permet la dilution des responsabilités, et empêche l'alternance. Il n'est pas interdit de penser que cela ait des influences sur la vie musicale suisse, puisque les musiciens sont des acteurs sociaux faisant partie de la société au même titre que les autres individus.

 

Ainsi, comment, dans un contexte politico-culturel enclin au principe de légitimité (par opposition au principe d'efficacité), peut-on faire émerger des voix singulières risquant de rompre avec la voix du plus grand nombre? Et surtout, comment, dans un système concourant à la reproduction des inégalités, favoriser l'expression d'une communauté à la visibilté faible et au potentiel marchant quasi-inexistant? Finalement, je pense que la réponse nous appartient et dépend de la manière dont nous nous servirons des outils culturels à notre disposition dans ce pays, la Suisse. La réalité de la pratique musicale d'improvisation libre se construit par le partage de significations, compréhensions communes du système dans lequel nous évoluons.

 

L'Histoire, c'est nous !

 

Vincent Daoud
(septembre 2012)
 


by moxi