Urs Graf: Ins Unbekannte der Musik. Ein Musikstück entsteht.
Drei Filme: Urs Peter Schneider, Jürg Frey, Annette Schmucki
Filmkollektiv Zürich
Die Filme des Filmkollektivs Zürich, das einst aus den Umwälzungen der frühen 1970er-Jahre und ihrer Reflexion der Autorschaft hervorgegangen ist, behandeln des Öfteren die zeitgenössische «ernste» Musik. Urs Graf, der von Anfang an dabei war, hat nun den letzten Teil seiner Trilogie von Komponistenportraits vorgestellt. Den Anfang im Jahr 2005 machte der Film 36 Existenzen über Urs Peter Schneider, 2007 folgte Unhörbare Zeit über Jürg Frey, und nun ist der letzte Teil mit dem Titel Hagel und Haut über Annette Schmucki präsentiert worden.
Graf schildert in jedem dieser Filme das Entstehen eines musikalischen Werks mindestens über ein Jahr hinweg. Der Werktitel ist dann jeweils zum Filmtitel geworden. Es sind unabhängige Autorenfilme im klassischen Sinn – die ihrerseits das Leben und Werk von Autoren auf dem Gebiet der Musik behandeln. In dieser Mise-en- abyme-Konstellation («Der Autor wird betrachtet vom Autor») sind sie so etwas wie Symbole der unabhängigen Kreativität. Die Off-Stimme des Filmers, mit der er Korrespondenz rund um die Filmaufnahmen wiedergibt, signalisiert sein lebhaftes Interesse für diese Musik und die Bedingungen ihres Entstehens. Dass die Portraitierten ihm Einblicke in ihr Privatleben gestatten, bestätigt die Glaubwürdigkeit seines Unterfangens. Dabei wird der Beobachter mit der Kamera niemals zum unbeteiligten Voyeur, sondern bleibt ein Gast und Gesprächspartner. Grundsätzlich ergreift er Partei für die portraitierte Person, glaubt an ihre Pläne und äussert seinen Widerspruch (den es in entscheidenden Momenten durchaus gibt) nur offen im persönlichen Gespräch. Der Zuschauer, sofern er sich von der Darstellung angesprochen fühlt, übernimmt die Perspektive des Filmers, ohne sich in eine Rolle gedrängt zu fühlen, und versteht sich mit ihm zusammen als interessiertes Gegenüber. So entstehen drei einfühlsame Portraits, die nicht bloss für ein Fachpublikum verständlich sind, sondern auch für diejenigen, die sich wundern, wie jemand dazu kommt, so «schräge» Musik zu schreiben.
Komponieren sei nichts Abgehobenes, sondern eine ganz alltägliche Sache, so lautet eine Hauptbotschaft dieser Trilogie. Heldenverehrung findet nicht statt. Vielmehr kann auch der durchschnittliche Fernsehzuschauer in Grafs Filmportraits eigene Wünsche und Vorstellungen erkennen, wenn er sie auch nicht auf diese Weise formulieren oder selbst zu Musik machen würde. Dem musikalisch sensibilisierten Zuschauer wiederum fällt die Vielfalt des Filmtons auf. «Filmmusik » wird nur sehr sparsam eingesetzt, während die akustische Atmosphäre der Drehorte sehr differenziert wiedergegeben ist. «Störgeräusche» werden auch in Gesprächssituationen nicht vermieden, sondern mit einbezogen und dominieren manchmal geradezu. Stets ist ein Aussen präsent, das die Konzentration auf das scheinbar Wesentliche beeinträchtigt, ob das nun Maschinen oder lachende Kinder sind. Für Grafs Dokumentation ist offensichtlich wichtig, welche Klänge diese Komponisten im Alltag umgeben: Naturlaute, Menschenstimmen, Maschinengeräusche, eigenes und fremdes Musizieren, Nachhall in grossen und kleinen Räumen. Die «Verräumlichung» der alltäglichen Klänge scheint ein filmisches Hauptinteresse zu sein. Solche unbewussten, erst durch ihre Aufzeichnung bewusst gemachten Inspirationsquellen überlagern die sprachlich artikulierten Ideen.
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Lesen Sie den vollständigen Artikel in DISSONANCE 113 (März 2011).
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