Dissonance

Ins Off manövriert

Eine Replik auf Stefan Frickes Rezension der Grammont Sélection 4 (dissonance 115, Spetember 2011)

Matthias Arter

 

Mit seinem Artikel über die CD Grammont Sélection 4, der, obwohl im Rezensionsteil der dissonance 115 abgedruckt, keineswegs eine Rezension darstellt (womöglich handelt es sich um eine Glosse?), hat sich Stefan Fricke vollkommen ins Off manövriert. Wie er vom Titel «Sélection 4» (zu deutsch: «Auswahl 4») zu «Best- Off» (zu deutsch etwa: «Bestes ab» – was immer dies bedeuten mag) kommt, bleibt sein Geheimnis. Er gibt zwar zu Beginn des letzten Abschnittes vor, die Reihe Grammont Sélection zu kennen, stellt aber Fragen, die er beantworten könnte, wenn er denn die Reihe wirklich einmal kurz studiert hätte.

 

Zum Beispiel interessiert sich Stefan Fricke für die Kriterien für die «Best-Off»[sic!]-Werke und fragt, wer denn die Auswahl kompiliert. Lesen wir in den Booklets nach:

  • Sélection 1 (Kurator Thomas Gartmann): «Die Auswahl [...] ist subjektiv, stellt das aktuelle Musikschaffen in ihrer Vielseitigkeit vor und sucht das Typische. Gleichzeitig ist sie ein Panorama wichtiger Festivals, Reihen und Interpreten.»
  • Sélection 2 (Kurator Michael Kunkel): «Wichtigstes Kriterium war, die Vielfalt des Schweizer Musiklebens 2008 im Fokus auf den Ensemblebereich anzudeuten. »
  • Sélection 3 (Kurator Jean Nicole): «[...] le présent choix de créations [...] associe le foisonnement inventif des jeunes compositeurs à l’ancrage esthétique et structurel délibéré de musiciens des générations antérieures.»
  • Sélection 4 (Kurator Mark Sattler): «Die Vielfältigkeit der Neuen Schweizer Musik aufzuzeigen, also eine grosse Bandbreite an Stilen und Sprachen zu präsentieren, waren die Leitlinien [...] für die vorliegende CD.»

Es wird offensichtlich, dass jeder Kurator seine eigenen Kriterien anwendet (anwenden darf!) und es im Prinzip nur eine einzige Bedingung zu erfüllen gilt, damit ein Werk auswählbar wird: Schweizer Uraufführung des betreffenden Jahres. Fragen beantwortet, Herr Fricke? Eben ...

 

Dann wittert Stefan Fricke gar üble Machenschaften, Vetternwirtschaft sowie brisante fehlende Distanz und befürchtet, dass künftig auf der Sélection nur noch ein einzelner Komponist, eine einzelne Tonkünstlerin oder ein Ensemble abgebildet werden würde, und schliesst mit der Mahnung: «Zeitgenossen aller Kantone, seid wachsam, wenn ihr künftig nicht die Leidgenossen unter den Eidgenossen sein wollt.» Was ist geschehen? Welche Zeichen deutet Herr Fricke dergestalt, dass er die Situation in der Schweiz aus dem intakten, nördlichen Nachbarstaat gesehen in derart düsterem und demokratisch gesehen bedenklichem Licht sieht?

 

Nichts ist passiert. Ausser dass Herr Fricke das dem Text von Mark Sattler vorangestellte Editorial zum Booklet nicht gelesen hat. Man beachte: Bei den Sélections 1 bis 3 gab es ein solches nicht, da durften die Kuratoren gleich loslegen mit der Darlegung ihrer Kriterien und Konzepte für ihre Sélections. Der Herausgeber (die Arbeitsgemeinschaft zur Förderung schweizerischer Musik) erklärt in diesem Editorial, dass sich in diesem Jahr (2010) am Lucerne Festival etwas Ausserordentliches zugetragen hatte (ins Lucerne Festival integriert fand unter dem Titel «(z)eidgenössisCH» das 110. Tonkünstlerfest statt, als Festival im Festival, mit 24 Uraufführungen an einem einzigen Wochenende), und dass deshalb beschlossen wurde, die Sélection 4 ganz auf dieses Ereignis zu konzentrieren, weshalb man die naheliegende Möglichkeit gewählt hat, den Dramaturgen für zeitgenössische Musik am Lucerne Festival, Mark Sattler, zu bitten, eine Auswahl für die Doppel-CD zusammenzustellen.

 

Die Darstellung von Herrn Fricke, Mark Sattler sei mit der Zusammenstellung betraut worden und habe – sich ins Fäustchen lachend und mit unvergleichlicher Vermessenheit alle anderen Uraufführungsorte und -festivals klammheimlich ignorierend – sich ganz auf die Darstellung «seines Festivals» beschränkt, ist ganz offensichtlich falsch.

 

Schade, dass vier wertvolle Spalten der dissonance vorwiegend für das überflüssige Verbreiten von Verschwörungstheorien verschwendet wurden. Umsomehr, als dass die im Postscriptum gemachte Behauptung, der musikalische Inhalt der Sélection wäre in der dissonance 112 (Torsten Möllers Rezension des Tonkünstlerfestes 2010) bereits besprochen worden, ebenso unrichtig ist wie der ganze Rest: In jenem Artikel gab Torsten Möller zu ganzen vier (!) Werken kurze Kommentare ab (Cécile Marti, Urban Mäder, Helena Winkelman, Alfred Zimmerlin). Alle anderen Kompositionen (von Roland Moser, Michael Pelzel, Caroline Charrière, Oscar Bianchi, Franz Furrer-Münch, Fritz Hauser, Xavier Dayer, Stefan Wirth und Nadir Vassena), die mithin mehr als zwei Drittel der Produktion ausmachen, fanden keine Erwähnung. Wahrlich eine enttäuschende und traurige Bilanz für eine «Besprechung des musikalischen Inhalts der Sélection 4»! Immerhin ist zu hoffen, dass sich viele Leute die CDs anhören und sich von der musikalischen Qualität überzeugen lassen – um vielleicht auch Torsten Möllers Meinung zu kontrollieren, der im erwähnten Artikel allen Ernstes behauptet hatte, dass das «Collegium Novum Zürich oder die basel sinfonietta [...] nicht einmal annäherungsweise mit der europäischen Spitze konkurrieren können.» Man höre sich die entsprechenden Tracks der CDs an und staune ...

 

Anmerkung der Redaktion

Aufgrund einer redaktionellen Fehlleistung war in Stefan Frickes Rezension der Doppel-CD Grammont Sélection 4 von einer Auswahl an «Best-off»-Kompositionen zu lesen. Diese Schreibweise widerspiegelt die inhaltlichen Intentionen des Autors keineswegs, hierfür wäre viel eher die englische Wendung «Best-of» nötig gewesen. Diese hat nicht nur den Vorteil der leichteren Übersetzbarkeit – sie lässt sich einschlägigen Wörterbüchern zufolge als «Auswahl der Besten » ins Deutsche übertragen –, sondern entspricht auch der Formulierung, mit der die Herausgeber der Reihe Grammont Sélection vor einem Jahr die Sélection 3 angepriesen haben: «Die besten Schweizer Uraufführungen des Jahres 2010» waren in einem Inserat angekündigt, das von den Verantwortlichen der Reihe verfasst wurde und in der dissonance 110 (Dezember 2010) auf Seite 109 erschienen ist.


by moxi