Dissonance

Das Ende der Utopie

 

Wie sich ein «für Neue Musik spezialisiertes» Orchester selber diskreditiert

Dominik Blum

 

Eine Zuschrift von Dominik Blum, dem Solisten der «Zeitkugel» von Michael Wertmüller (eingegangen am 16. November 2010)
Siehe auch den Bericht zur Absetzung des Werks und die Pressemitteilung der basel sinfonietta vom 16. September 2010 mehr
Siehe auch Michael Wertmüllers Stellungnahme vom 30. September 2010 mehr

Einiges ist schon durchgesickert, die bürgerliche Presse hat natürlich, abgesehen von einer Journalistin des Regionalteils einer Zürcher Tageszeitung, die offizielle Version des Orchesters übernommen (von «Protest» war da zum Beispiel die Rede), zum Teil wurden schlicht Lügen verbreitet, etwa dass das betroffene Stück zu einem späteren Zeitpunkt und in überarbeiteter Form ins Programm genommen wird, oder dass es gesundheitsschädigend sei – davon soll noch die Rede sein. Zwei Tage nach der Uraufführung vom 12. September im KKL, erhalte ich aus Luzern die Nachricht, dass die Gurrelieder von Schönberg wesentlich lauter gewesen sein sollen ...

 

Was in Basel geschah, gleicht einem Hexenverbrennungsprozess. Betroffen sind neben dem Solisten, der diese Zeilen schreibt, der Komponist Michael Wertmüller und sein Stück Zeitkugel. Unter dem Vorwand der Gesundheitsschädigung wird in einer heimlichen Abstimmung, ohne Beisein von Komponist, Solist und kompetenten Leuten aus dem Vorstand, die Generalprobe des Werks abgesetzt. In Bern kommen am 18. September, nach heftigem Insistieren der Veranstalter, immerhin die Sätze 2 und 3 zur Aufführun. Die dritte Aufführung am 23. Oktober in Basel wird kurzerhand aus dem Programm gestrichen, was das Orchesterbüro aber nicht daran hindert, die dafür bereits gedruckten Plakate mit dem programmatischen Titel «von Windmühlen und Wertmüllern» in ganz Basel aufhängen zu lassen. Dabei hat man sich doch immerhin die Orgelstimmung im Casino eingespart, das hätte gereicht für einen Neudruck. Auf des Solisten Forderung nach Genugtuung in Form einer Übernahme seiner Spesen ist der Vorstand nicht eingetreten.

 

Was viele nicht wissen können: Drei Tage vor der ersten Probe ruft der Dirigent konsterniert den Komponisten an und lässt verlauten, er könne dieses Stück in der vorliegenden Fassung technisch nicht in allen Teilen dirigieren – die Partitur lag fast zwei Monate vorher druckfertig im Orchesterbüro auf ... Ebenso wäre es für Vorstand und Programmgruppe des selbstverwalteten Apparats opportun gewesen, wenigstens auf die Weise die Hausaufgaben zu machen, indem man sich im Internet über das Schaffen des Komponisten informiert, bevor man aufgrund dieses Auftrages die Konzerte am Lucerne Festival und an der Biennale Bern zusagt. Und man findet im Internet doch einiges über Wertmüller!

 

Was an seinem Stück utopisch ist, ist die exorbitante Energie und das Behandeln der Zeit. Fünf Dirigenten steuern im 1. Satz gleichzeitig Temposchichten, die zum oszillierenden Linien- und Klanggeflecht verschmelzen. Dass es enorm schwierige Parts gibt, die quasi unspielbar sind, kennt man schon von Xenakis und Ferneyhough, aber dort muckt mittlerweile niemand mehr auf. Erfahrene Interpreten zeitgenössischer Musik wissen, dass man solche Parts sinngemäss bearbeitet, man tut das Möglichste, um das Unmögliche zum Klingen zu bringen. Für ein Ensemble, das sich für zeitgenössische Musik spezialisiert nennt, eine Selbstverständlichkeit. Doch in Basel nennen sie das gesundheitsschädigend ...

 

Tragisch, dass ein Orchester so von der Bildfläche ernst zu nehmender Ensembles für zeitgenössische Musik verschwindet. Der Aufstand der Hinterbänkler hat den Ruf dieses Orchesters ruiniert. Das Modell des selbstbestimmenden Apparats mag auf den ersten Blick ein modernes sein, ist aber zum Scheitern verurteilt, da Neue Musik immer polarisiert und nie mehrheitsfähig sein wird. Schade um all seine Leute, die etwas davon verstehen und sich über all die Jahre aufgerieben haben für eine unkonventionelle, radikale Programmation. Ihre Stimmen werden wohl im Laufe der Zeit verstummen. Oder würden Sie, liebe Leserinnen, John Adams, Leonard Bernstein oder Nino Rota als kompromisslose, eigenständige zeitgenössische Musik ansehen? Das Ende der Utopie - bitter, aber Tatsache.

 

Zürich, im November 2010

Dominik Blum, Pianist, Organist, Solist der Zeitkugel von Michael Wertmüller

www.dominikblum.ch


by moxi