Elitär vs. Populär
Über zweifelhafte Distinktionen
Wie in jeder Wissenschaft ist auch in der praktischen Ästhetik – vulgo Design und Kunst – «Grundlagenforschung» unverzichtbar. Im Chemielabor forschen Spezialisten an Dingen, die ausser ihnen keiner versteht – aber aus den Ergebnissen entsteht später vielleicht etwas allgemein Nutzbares. Auch das «strukturelle Hören», ein Paradigma der Neuen Musik und im Grunde ganz der akademischen Elite vorbehalten, hat seine längerfristigen kulturellen Auswirkungen. (Stockhausen wurde zu Recht als «Grossvater des Techno» bezeichnet.) Selbst das sperrigste Musikstück bewirkt möglicherweise ein Stück Aufklärung in den Köpfen Einzelner, die wiederum ihre demokratische Stimme geltend machen. Niemand kann widerlegen, dass auch Weberns Quartett op. 22 ein kleines bisschen zum Fall der Mauer beigetragen hat!
Was lässt sich für solche bildungselitären, inhaltlich kompromisslos anspruchsvollen Güter zunächst tun? Vermittlung – Bildung, Bildung, Bildung. Aber zuallererst: Verbreitung. Jedes Laborergebnis gehört ins Internet.
Auch wenn die «Grundlagenforschung» wichtig ist, habe ich in meiner Arbeit mitunter eine andere Intention. Zumindest möchte ich nicht nur im Labor stehen.
ist eines der grössten Desaster der
Kunstgeschichte.»
Jean-Luc Godard
«Kulturelle Lernprozesse sind stets verschlungene», schrieb unlängst ein auch als Publizist sehr aktiver Komponist. Stets? Das ist falsch, bequem kulturpessimistisch und im schlechtesten Sinne elitär. (Der Relativitätstheorie kann man nicht Elitarismus vorwerfen, nur weil sie fast niemand versteht; einer Haltung aber sehr wohl.) Die Aussage, Weberns Quartett trug einen Teil zur friedlichen Revolution 1989 bei, darf kein Trostbrief für «verkannte Genies» sein. Sonst kann man auch gleich im Glauben arbeiten, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings andernorts ein Unwetter auslöst – bei dem auch noch glatt ein Diktator vom Ast erschlagen wird. Es gibt direktere Möglichkeiten.
In anderen Medien ist die Kunstavantgarde des 20. Jahrhunderts ja angekommen. Warhols knallfarbene Marilyn Monroe ist eine Ikone, Apples Logo – Augen frontal und Nase im Profil – zitiert den kubistischen Klassiker, und unlängst erhielt ich in einer schwäbischen Kleinstadt eine Brottüte, deren Hintergrunddruck unverkennbar von Mondrian abgekupfert worden war. Analog hätte in dieser Kleinstadtbäckerei dann eigentlich ein leicht elektronisierter Webern aus dem Radio klingen müssen
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Lesen Sie den vollständigen Artikel in DISSONANCE 114 (Juni 2011).